Süddeutsche Zeitung, 03.12.2010
"Mehr als zwei Drittel missbrauchen unser Gastrecht"
Haderthauer über Flüchtlinge
Der Protest von Flüchtlingen gegen katastrophale Bedingungen in den Heimen weitet sich aus. Bayernweit verweigern 400 Bewohner ihre Essenspakete, 200 sind im Hungerstreik. CSU-Sozialministerin Christine Haderthauer, 48, erklärt, warum sie nach wie vor keinen Grund sieht einzugreifen.
SZ: Gilt für diese Menschen das Modell Abschreckung mit Hilfe von Kakerlaken in den Unterkünften, kaputten Duschen und einem Leben auf engstem Raum?
Haderthauer: Wie die Unterkünfte auszusehen haben, habe ich mit unseren Leitlinien im April bayernweit standardisiert. Es gibt sehr gute Unterkünfte und welche, die noch ein bisschen Nachholbedarf haben. Wir haben in diesem Jahr 20 Millionen Euro im Haushalt angemeldet, um die Unterkünfte nach und nach anzupassen.
SZ: Warum spüren die Flüchtlinge dann nichts von diesen Verbesserungen?
Haderthauer: Das geht nicht alles von heute auf morgen. Wie in anderen Bereichen müssen wir schauen, was wir uns leisten können.
SZ: Die Missstände sind nicht zu übersehen, auch die Behörden sprechen von problematischen Zuständen. Sie aber sind zufrieden. Erklären Sie uns das.
Haderthauer: Natürlich ist bei der intensiven Nutzung der Verschleiß ziemlich hoch, da kann auch mal eine Dusche kaputtgehen. Es hat mir noch keine Bezirksregierung gesagt, sie habe nicht renovieren können, weil sie das Geld dafür nicht bewilligt bekommen hat. Für den Vollzug sind die Regierungen zuständig. Es ist nicht meine Aufgabe, den Hausmeister zu überwachen. Jeder hat seinen Verantwortungsbereich.
SZ: Im Sommer hat der Landtag Beschlüsse gefasst, die Flüchtlingen das Leben leichter machen sollen. Familien mit Kindern etwa dürfen früher aus Gemeinschaftsunterkünften ausziehen. Warum geht da noch nichts voran?
Haderthauer: Es geht ganz viel voran. Mehr als 50 Prozent aller Asylbewerber leben schon nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften. Es gibt jetzt schon weitreichende Auszugsgenehmigungen. Mit den Beschlüssen gehen wir noch weiter. Aber dafür brauchen wir ein Gesetz. Das habe ich auf den Weg gebracht.
SZ: Die Unterkünfte platzen aus allen Nähten, weil wieder deutlich mehr Asylbewerber nach Deutschland kommen. War es ein Fehler, in den vergangenen Jahren die Hälfte aller Plätze aufzugeben?
Haderthauer: Wir hatten die klare Vorgabe - auch vom Rechnungshof - in den Jahren, in denen die Zahlen zurückgingen, Leerstände abzubauen. Jetzt haben wir wieder einen starken Anstieg. Wir brauchen eine dritte Aufnahmeeinrichtung mit rund 500 Plätzen. Die Regierungen sind außerdem dabei, zusätzliche Plätze in Gemeinschaftsunterkünften zu schaffen. Wenn unser Gesetz in Kraft tritt, wird sich auch dort die Lage wieder etwas entspannen.
SZ: Wäre nicht jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Systemwechsel? Wohnungen für Flüchtlinge anzumieten statt der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünfte hätte doch den Vorteil, flexibler zu sein?
Haderthauer: In Gemeinschaftsunterkünften leben nur die, denen bescheinigt wurde, dass sie hier kein Bleiberecht haben. Sie sind dem Grunde nach ausreisepflichtig, und wir haben ein Interesse daran, sie in ihr Heimatland zurückzuführen. Das ist einfach besser aus Gemeinschaftsunterkünften heraus zu organisieren.
SZ: Waren Sie inzwischen in Augsburg, um sich einen Eindruck von den Umständen zu verschaffen und mit den Hungerstreikenden zu sprechen?
Christine Haderthauer: Ich werde von den Bezirksregierungen durchgehend informiert, deshalb gibt es keinen Anlass für einen Besuch. Keine der Forderungen der Bewohner ist mir neu. Über Essenspakete, die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, das Recht zu arbeiten haben wir ausgiebig im Landtag diskutiert. Diese Fragen sind längst alle geklärt.
SZ: 400 Flüchtlinge verweigern Essenspakete, 200 davon sind im Hungerstreik. Besorgt sie das überhaupt nicht?
Haderthauer: Für mich gibt es keinen objektiven Grund für diesen Protest. Er könnte aber etwas damit zu tun haben, dass der Bayerische Flüchtlingsrat dazu aufgerufen hat, Geld zu spenden. Das hat die Wirkung, dass diejenigen, die die Essenspakete ablehnen, Bargeld erhalten. Inwieweit das einen Anreiz zum Boykott darstellt, stelle ich anheim.
SZ: Sie werfen dem Flüchtlingsrat vor, die Proteste anzufachen?
Haderthauer: Die Rolle des Flüchtlingsrats muss jeder für sich beurteilen.
SZ: Die Essenspakete sind für Sie nicht verhandelbar. Was spricht dagegen, den Flüchtlingen Geld zu geben?
Haderthauer: Die Bewohner können aus einer umfangreichen Auswahl bargeldlos und individuell ihre Essenspakete zusammenstellen. Ich sehe keinen Grund, ihnen Bargeld zu geben. So stelle ich sicher, dass unsere Hilfen auch als Lebensmittel bei den Menschen ankommen.
SZ: Sie sagen, wem es hier nicht passt, der kann ja wieder gehen. Ist die Zeit der "humanen Asylsozialpolitik", die Sie Flüchtlingen versprochen hatten, vorbei?
Haderthauer: Nein. Meine Äußerungen beziehen sich allein auf diejenigen, die unser Gastrecht missbrauchen. Die, die kein Bleiberecht haben und bei denen kein Abschiebehindernis besteht, kann ich nicht aus Unterkünften ausziehen lassen und mit Bargeld versorgen. Das sind keine Flüchtlinge, auch nicht nach den Standards von Menschenrechtsorganisationen.
SZ: Sie sagen sogar, der überwiegende Teil der Antragsteller missbrauche die Gastfreundschaft, die der Freistaat Bayern den Flüchtlingen gewährt.
Haderthauer: Ich habe harte Zahlen für diese Behauptung. Mehr als zwei Drittel der Antragsteller missbrauchen unser Gastrecht.
SZ: Gilt für diese Menschen das Modell Abschreckung mit Hilfe von Kakerlaken in den Unterkünften, kaputten Duschen und einem Leben auf engstem Raum?
Haderthauer: Wie die Unterkünfte auszusehen haben, habe ich mit unseren Leitlinien im April bayernweit standardisiert. Es gibt sehr gute Unterkünfte und welche, die noch ein bisschen Nachholbedarf haben. Wir haben in diesem Jahr 20 Millionen Euro im Haushalt angemeldet, um die Unterkünfte nach und nach anzupassen.
SZ: Warum spüren die Flüchtlinge dann nichts von diesen Verbesserungen?
Haderthauer: Das geht nicht alles von heute auf morgen. Wie in anderen Bereichen müssen wir schauen, was wir uns leisten können.
SZ: Die Missstände sind nicht zu übersehen, auch die Behörden sprechen von problematischen Zuständen. Sie aber sind zufrieden. Erklären Sie uns das.
Haderthauer: Natürlich ist bei der intensiven Nutzung der Verschleiß ziemlich hoch, da kann auch mal eine Dusche kaputtgehen. Es hat mir noch keine Bezirksregierung gesagt, sie habe nicht renovieren können, weil sie das Geld dafür nicht bewilligt bekommen hat. Für den Vollzug sind die Regierungen zuständig. Es ist nicht meine Aufgabe, den Hausmeister zu überwachen. Jeder hat seinen Verantwortungsbereich.
SZ: Im Sommer hat der Landtag Beschlüsse gefasst, die Flüchtlingen das Leben leichter machen sollen. Familien mit Kindern etwa dürfen früher aus Gemeinschaftsunterkünften ausziehen. Warum geht da noch nichts voran?
Haderthauer: Es geht ganz viel voran. Mehr als 50 Prozent aller Asylbewerber leben schon nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften. Es gibt jetzt schon weitreichende Auszugsgenehmigungen. Mit den Beschlüssen gehen wir noch weiter. Aber dafür brauchen wir ein Gesetz. Das habe ich auf den Weg gebracht.
SZ: Die Unterkünfte platzen aus allen Nähten, weil wieder deutlich mehr Asylbewerber nach Deutschland kommen. War es ein Fehler, in den vergangenen Jahren die Hälfte aller Plätze aufzugeben?
Haderthauer: Wir hatten die klare Vorgabe - auch vom Rechnungshof - in den Jahren, in denen die Zahlen zurückgingen, Leerstände abzubauen. Jetzt haben wir wieder einen starken Anstieg. Wir brauchen eine dritte Aufnahmeeinrichtung mit rund 500 Plätzen. Die Regierungen sind außerdem dabei, zusätzliche Plätze in Gemeinschaftsunterkünften zu schaffen. Wenn unser Gesetz in Kraft tritt, wird sich auch dort die Lage wieder etwas entspannen.
SZ: Wäre nicht jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Systemwechsel? Wohnungen für Flüchtlinge anzumieten statt der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünfte hätte doch den Vorteil, flexibler zu sein?
Haderthauer: In Gemeinschaftsunterkünften leben nur die, denen bescheinigt wurde, dass sie hier kein Bleiberecht haben. Sie sind dem Grunde nach ausreisepflichtig, und wir haben ein Interesse daran, sie in ihr Heimatland zurückzuführen. Das ist einfach besser aus Gemeinschaftsunterkünften heraus zu organisieren.
Interview: Mike Szymanski
Quelle: Süddeutsche Zeitung