AFP, 20.06.2012
Leistungen für Asylbewerber in Karlsruhe auf Prüfstand
Am Bundesverfassungsgericht hat die Verhandlung darüber begonnen, ob Asylbewerber genug staatliche Leistungen für ein menschenwürdiges Existenzminimum bekommen. Die Leistungen für Asylbewerber wurden seit 1993 nicht mehr erhöht.
Das Bundesverfassungsgericht prüft seit heute, ob und in welcher Höhe die seit 1993 unveränderten staatlichen Leistungen für Asylbewerber von 225 Euro monatlich erhöht werden müssen. Die Staatssekretärin Annette Niederfranke kündigte vor Gericht eine Nachbesserung an. Wegen der schwierigen Bedarfsprüfungen sei aber nicht absehbar, wann die Leistungen angehoben werden könnten, sagte Niederfranke.
Der Auftakt der Verhandlung war bestimmt von der Streitfrage, ob Asylbewerber einen Anspruch auf stattliche Unterstützung etwa in derselben Höhe wie Hartz-IV-Empfänger haben. Davon gehen die beiden Kläger des Ausgangsverfahrens und verschiedene Sozialgerichte seit dem Karlsruher Urteil zum menschenwürdigen Existenzminimum für Hartz-IV-Empfänger von 2010 aus. Derzeit liegen die Leistungen für Asylbewerber laut Gericht um mehr als 30 Prozent unter den Mindestbeträgen für Hartz-IV-Empfänger.
Der Rechtsvertreter der Bundesregierung, Kay Hailbronner, räumte zwar einen Anspruch der Betroffen auf ausreichende Nahrung, Kleidung und Unterkunft ein, der auch von den Sach- und Geldleistungen abgedeckt werde. Die insgesamt niedrigeren Leistungen begründete er aber mit der kurzen Aufenthaltsdauer von Asylbewerbern, die deshalb geringere Ansprüche an eine kulturelle und soziale Teilhabe hätten als hier lebende Bürger. Zudem müsse beachtet werden, dass im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hohe Leistungen zu einem Sogeffekt bei Asylbewerbern führen könnten.
Diese Auffassung stieß bei den Richtern und Nichtregierungsorganisationen auf Kritik. Verfassungshüterin Susanne Baer verwies darauf, dass die im Grundgesetz garantierte unantastbare Menschenwürde auch das sozio-kulturelle Existenzminimum umfasst. Dieses Grundrecht gelte für alle, nicht nur für Deutsche. Die Bundesregierung habe bei der Festlegung der Leistungshöhe zwar "Gestaltungsspielräume". Sie müsse die vom Grundgesetz gezogene Grenze aber beachten und "nachvollziehbar und realitätsgerecht darlegen", warum sie geringere Leistungen für gerechtfertigt hält, sagte Baer.
Die Vertreterin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Petra Follmer-Otto, verwies darauf, dass die "Minderleistung" im Gesetz von 1993 mit der kurzen Aufenthaltsdauer begründet worden und Asylbewerber damals dann nach einem Jahr Aufenthalt Unterstützung in Höhe von Sozialleistungen bekamen. Mittlerweile sei diese Frist auf vier Jahre ausgedehnt worden. Diese lange Absenkung der Leistungen sei unverhältnismäßig und verstoße gegen das "menschenrechtliche Diskriminierungsverbot".
Vertreter der Organisationen Pro Asyl, Landesflüchtlingsräte und Campact bezeichneten das umstrittene Gesetz in einer gemeinsamen Erklärung als "erniedrigend und beschämend". Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Ulla Jelpke, warf der Bundesregierung vor, sie wolle Asylsuchende so "schlecht wie nur irgend möglich" behandeln. Das Urteil aus Karlsruhe wird in einigen Monaten erwartet.
Quelle: Donaukurier Ingolstadt