Heidenheimer Zeitung, 04.05.2009

Leben am Rande der Gesellschaft

Die Flüchtlingsunterkünfte in Bayern sind teils in einem erbärmlichen Zustand - Wanzen, Schimmel und verrostete Herdplatten

Der Herren-Duschraum in der Hintermeierstraße: Vergammelte Wände, vor den Duschkabinen (rechts) keine Türen oder Vorhänge. Foto: Flüchtlingsrat
Die Flüchtlingsunterkünfte in Bayern sind teils in einem erbärmlichen Zustand - Wanzen, Schimmel und verrostete Herdplatten. Vierköpfige Familien leben in einem Raum auf zwölf Quadratmetern, es gibt nur zwei Betten und vergammelte Sanitärräume. Die Realität in bayerischen Flüchtlingsunterkünften ist erschreckend.

Die Hintermeierstraße in München führt in ein Gewerbegebiet. Der nördliche Stadtteil Allach endet hier an den S-Bahnschienen zwischen alten Bürogebäuden und Lagerhäusern. Im Haus mit der Nummer 28A gehen schon lange keine Büroangestellten mehr ein und aus. Schäbig sieht es aus, verdreckt. Doch in manchen Fenstern hängen Vorhänge, vor dem grauen Gebäude spielen Kinder. Hier wohnen Leute.

Drinnen in den Gängen und Vorräumen ist es nicht besser. Schimmel überall, Wanzen kriechen aus den Ritzen und Löchern in Wand und Boden, verrostete Doppelherdplatten in der Gemeinschaftsküche, vergammelte Duschen ohne Vorhänge oder abschließbare Türen. 200 Flüchtlinge sind hier untergebracht. Menschen aus allen Krisengebieten der Welt, viele traumatisiert, psychisch krank.

Die junge Frau aus Armenien hat versucht, ihr Zimmer wohnlich, ja fast gemütlich zu gestalten. Vorne eine alte, rustikale Couchgarnitur, ein Wohnzimmerschrank, hinten am Fenster ein Stockbett für die Kinder, der Sohn ist 17, die Tochter zehn Jahre alt. Auf vielleicht zwölf Quadratmetern wohnt die Familie hier, die Eltern schlafen auf dem Boden. Seit sieben Jahren. "Wir haben noch Glück gehabt, das Zimmer ist groß im Vergleich zu anderen", sagt sie. Aber sie will nur eines: hier raus.

Die Enge, der Lärm, wenn so viele Menschen so lange so gedrängt wohnen und sich Küche, Toilette und Dusche teilen müssen - "das macht krank", sagt sie. Sie hat sich selbst Deutsch beigebracht, denn ein Kurs steht ihr nicht zu. Es läuft ihr zweiter Asylantrag, sie wartet weiterhin auf Antwort. Seit sechs Monaten hat sie jetzt eine Arbeitserlaubnis, sie hat einen Job gefunden bei einer Putzfirma. In Armenien war sie Grundschullehrerin. "Aber Hauptsache Arbeit", sagt sie.

Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat ist zu Besuch in der Hintermeierstraße. Er hat schon viele Flüchtlingsunterkünfte gesehen, und doch muss er immer wieder den Kopf schütteln über das, was er dort zu sehen bekommt. Vor allem weiß er auch, dass die Menschen hier bleiben müssen, solange bis sie Aufenthaltsstatus haben. Und das kann Jahre dauern. Doch er glaubt auch, gute Nachrichten mitgebracht zu haben: Er berichtet von der Anhörung, die kürzlich im Landtag stattgefunden hat, mit dem Ziel vieler, die daran teilgenommen haben, diese Art von Unterkünften - der Flüchtlingsrat nennt sie Lager - zu schließen. Stattdessen, so die Forderung von Opposition und zahlreichen Experten, solle man die Flüchtlinge spätestens nach einem Jahr in Wohnungen unterbringen. Das sei menschenwürdiger und koste zudem auch weniger.

Thal ist zuversichtlich, dass endlich Bewegung in die Sache kommt, für die er und seine Mitstreiter sich schon so lange vergeblich einsetzen. Alle Initiativen sind in der Vergangenheit immer an der lange selbstherrlich mit satter Zweidrittelmehrheit regierenden CSU abgeprallt. Und wer sich fragte, warum diese Unterkünfte so sind, wie sie sind, der musste nur einen Blick in die Bayerische Asyldurchführungsverordnung werfen. Dort steht unter Paragraph sieben, Absatz fünf: "Die Verteilung und die Zuweisung darf die Rückführung der betroffenen Personen nicht erschweren: sie soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern."

Doch die Zeiten sind seit vergangenem Herbst in Bayern andere. Die FDP regiert jetzt mit. Auf Antrag der Grünen sind vier Landtagsausschüsse mit Vertretern von Hilfsorganisationen, mit Flüchtlingen, Medizinern, Kirchenvertretern, Rechtsanwälten und anderen Experten zusammengekommen. "Allein, dass eine Anhörung in diesem Umfang stattgefunden hat, ist schon ein Erfolg", sagt Thal.

Immerhin: zwei Container-Lager in München hat Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) bereits schließen lassen. Sie will Familien die Möglichkeit geben, in eine Wohnung zu ziehen, auch wenn nur ein Familienmitglied eine Aufenthaltsgenehmigung hat. Das klingt vielversprechend. Doch wer die Berichte der Betroffenen im großen Konferenzsaal des Landtags gehört hat, der kann sich nur wundern. Felleke Bahiru Kum kam vor neun Jahren aus Äthiopien nach Bayern. Seitdem lebte er in drei Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Donau-Ries. Am Anfang, so berichtete er den Abgeordneten, teilte er ein zwölf Quadratmeter großes Zimmer mit einem Iraner und einem Iraker. Später lebte er mit einem Mann aus Eritrea in einem Dachgeschossraum mit neun Quadratmetern Grundfläche. Ein Leben in Enge, mit Essenspaketen mit zum Teil verschimmelter Ware, rationiertem Wasser, Kleidern aus Restposten und mangelnder Hygiene. Ein Leben in Ausgrenzung und Isolation, mit allmächtigem Heimleiter und Residenzpflicht. Dies treibe Menschen in die Illegalität, manche würden Alkoholiker oder drogensüchtig, viele landeten beim Psychiater. Hubert Heinhold, der seit 25 Jahren als Rechtsanwalt Flüchtlinge vertritt, sagt: "Wir schaffen es, aus Menschen, die voller Elan hier ankommen, in wenigen Jahren gebrochene Menschen zu machen." Sie wollten in Deutschland Schutz, aber nicht Sozialhilfe.

Etwa 7500 Menschen leben laut Sozialministerium derzeit in 117 bayerischen Gemeinschafsunterkünften. Die seien in "gutem bis befriedigendem Zustand" und "auf dauerhafte Nutzung ausgelegt". Haderthauer will grundsätzlich an den Behausungen festhalten. Nur die Metallcontainer-Unterkünfte sollen innerhalb von zwei Jahren geschlossen werden. FDP, Grüne und SPD hingegen finden, Gemeinschaftsunterkünfte seien keine menschliche Form der dauerhaften Unterbringung und machen sich dafür stark, die Flüchtlinge in eigenen Wohnungen einzuquartieren.

Nach Berechnungen des Flüchtlingsrats, die auf Zahlen des ehemaligen bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) aus dem Jahr 2002 beruhten, kostet die Lagerunterbringung pro Person etwa 400 Euro im Monat. "Die Unterbringung in Wohnungen ist demnach deutlich billiger", sagt Alexander Thal.

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