Abendzeitung, 18.07.2012
Leben am Minimum
Essenspakete und 40 Euro Taschengeld im Monat für Erwachsene: Mehr haben viele Flüchtlinge in München nicht zum Leben. Die AZ hat die Bewohner einer Gemeinschaftsunterkunft besucht
Neun Uhr morgens, vor dem Postsportverein in der Franz-Mader-Straße parkt gerade ein Porsche ein. Frühsport für die, die sich’s leisten können. Ein paar Meter weiter, in den blau gestrichenen Container-Baracken hinter den Büschen, ist die Stimmung noch schläfrig. Warten ist angesagt im Asylbewerberheim. Warten auf 10 Uhr, wenn 45 Minuten lang die Essenspakete für die nächsten Tage ausgegeben werden.
96 Frauen, Männer und Kinder leben in dieser Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge. Sie kommen aus so unterschiedlichen Ländern wie Uganda, Palästina und Albanien, doch sie haben eines gemeinsam: Sie gehören zu den 130 000 Flüchtlingen in Deutschland, die das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts betrifft. Die Richter müssen die Frage klären, wie viel Geld Flüchtlingen monatlich mindestens zustehen sollte.
Am Ende könnten die Betroffenen mehr Geld bekommen als derzeit. Eine Hoffnung für viele Familien in der Franz-Mader-Straße. Etwa für Florie Sadikaj, ihren Mann und die drei Kinder, die hier zusammen drei Zimmer bewohnen. Wie an jedem Tag ist die 39-Jährige, die vor drei Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland kam, seit Stunden auf den Beinen. Sie hat Frühstück für die Kinder bereitet, sie in den Kindergarten gebracht, Wäsche gewaschen. Jetzt legt sie die zum großen Teil gespendeten Kleidungsstücke zusammen, so ordentlich, wie das auf elf mit alten Möbeln vollgestellten Quadratmetern eben geht. Auf dem Tisch steht noch der Tee vom Frühstück, daneben liegt eine halbe angebissene Gurke. Wie schwer Haushalten für die Familie sein muss, zeigt ein Blick auf den Amtsbescheid vom Sozialamt: Insgesamt gerade mal 190 Euro haben die Fünf im Monat zum Leben. Und die sind schnell aufgebraucht. 50 Euro für Windeln, 50 Euro für Fahrkarten für Bus, Tram und U-Bahn, damit die Eltern die Kinder zum Arzt oder in den Kindergarten bringen können. Jede noch so kleine weitere Besorgung will genau überlegt sein. Dabei würde sie gerne abwechslungsreicher für ihre Familie kochen. „Das Essenspaket ist nicht gut für meine Kinder“, sagt die dreifache Mutter. Woran es fehlt? „Zu wenig frisches Obst und Gemüse. Das muss ich kaufen.“ Und dabei muss sie sparsam sein.
Vor allem ihre siebenjährige Tochter, die im September in die erste Klasse kommt, leidet immer häufiger unter der dürftigen Situation. „Sie ist oft traurig“, erzählt die Mutter. „Sie fragt mich: Warum können wir nicht in die Bäckerei gehen? Warum habe ich keine neuen Kleider wie die anderen Mädchen?“ Die Mutter kann ihre Tochter dann nur in den Arm nehmen und sie trösten: „Wir müssen positiv bleiben.“ Der schlanken Frau kullern Tränen über die Wangen, ihre Schultern sacken zusammen. In ihrer Heimat hatte sie zwölf Jahre als Lehrerin gearbeitet. Hier in Deutschland hat sie sich zur Pflege- und Betreuungsassistentin ausbilden lassen. Nach einer Anstellung suchte sie bislang vergebens, auch wegen des bürokratischen Hürdenlaufs, um zu beweisen, dass es niemanden anderes für den Job gibt als eben sie als Flüchtlingsfrau.
Doch es ist nicht nur das Geld, das Florie Sadikaj Sorgen macht. Ihr Mann ist herzkrank, ihr fünfjähriger Sohn kam zu früh auf die Welt, kann nicht laufen und ist auf einen Rollator angewiesen. Er kommt damit zwar immer besser zurecht, freut sich die Mutter. „Und ich bin glücklich, dass die Menschen hier in Deutschland ihn respektieren.“ Doch ein Problem ist das Leben in der Baracke: „Das Zimmer ist zu klein, dass er sich mit dem Rollator bewegen kann“, sagt sie. Hinzu kommt: Toilette und Dusche auf dem Gang kann er alleine nicht benutzen. Ungeeignete, zu kleine Räume. Wenig Geld. Unpassende Essenspakete. Es gibt keinen Bewohner in der Gemeinschaftsunterkunft, den die Probleme nicht betreffen. Wer sich unter ihnen umhört, stößt wenig überraschend auf viel Unmut. Manche würden gerne öfter ihre Wäsche waschen. Dann gibt es regelmäßig Ärger mit den Öfen und Heizplatten in den Küchen. Die Leitung argumentiert mit unsachgemäßer Nutzung und Abnutzung, die Bewohner fühlen sich in ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen.
Eines wird in allen Gesprächen klar: Die Flüchtlinge wünschen sich, dass sich das System der Essenspakete ändert. „Darin sind viele Sachen, die wir nicht brauchen und nicht kennen“, sagt Jessica Bright (21) aus Nigeria, die mit ihrem zweijährigen Sohn hier wohnt. „Ankreuzen müssen wir es trotzdem.“ Mit unglücklichem Blick deutet sie auf die Tüte, die sie gerade bekommen hat: weißes Toastbrot, tiefgefrorene Hähnchenschenkel, Hering in der Dose. Sie würde lieber selbst einkaufen. Längst ist dieser Missstand bekannt: Die Ankreuz-Listen werden häufig von Flüchtlingsorganisationen kritisiert. „Ich verstehe das Problem“, sagt auch die Verwaltungsleiterin der Unterkunft, Frau Heinold. Ob es nicht also besser wäre, den Leuten Geld zu geben, damit sie sich selbst versorgen können? „Ich glaube, das wäre sinnvoller. Dann hätten die Leute weniger Schwierigkeiten und wir Angestellte weniger zu organisieren.“
Von Vanessa Assmann