Junge Welt, 29.10.2009

Lagerpflicht könnte kippen

Bayerische SPD will Sammelunterkünfte für Flüchtlinge abschaffen

 

Lange hat die bayerische SPD gebraucht, um Position gegen die unmenschliche Lagerpflicht für Flüchtlinge im Freistaat zu beziehen. Nun aber opponieren auch die Sozialdemokraten und wollen »einen Paradigmenwechsel einleiten«. Tatsächlich könnte es sich diesmal um mehr als bloße Rhetorik handeln. Denn mit dem am Dienstag abend im bayerischen Landtag diskutierten Gesetzentwurf steht die SPD nun in einer Front mit Grünen, Freien Wählern und der mitregierenden FDP. Zusammen haben diese Parteien mehr Sitze als die CSU.

Seit Monaten schon debattiert das Landesparlament mit vielen und langen Unterbrechungen über die Abschaffung der Zwangsunterbringung. Dabei sollte es eigentlich kein Problem sein, in einem Land mit zwölf Millionen Einwohnern 7500 Menschen eine Erlaubnis zur Wohnungssuche zu erteilen, wie Alexander Thal, der Sprecher der Bayerischen Flüchtlingsrates, erklärte. »Alle Abgeordneten wissen, daß Flüchtlingslager krank machen und unverhältnismäßig teuer sind. Die bayerische Lagerpflicht für Flüchtlinge muß deshalb bis spätestens Ende des Jahres fallen.«

Der aktuelle Gesetzentwurf der SPD sieht vor, »nach und nach Flüchtlinge mit angemessenem Wohnraum als Sachleistung zu versorgen«. Renate Ackermann (Bündnis 90/Die Grünen) und Hans Jürgen Fahn (Freie Wähler) begrüßten das Papier. Da es sich mit ihren Gesetzentwürfen decke und in die richtige Richtung ziele, sei die Zustimmung der Grünen und der Freien Wähler sicher. Laut SPD sollen Flüchtlinge künftig in der Regel in Privatwohnungen untergebracht werden anstatt wie bisher in Sammellagern. Gemeinschaftsunterkünfte sollen nur noch vorgehalten werden für Flüchtlinge, die noch keine Wohnung gefunden haben. Dies sei »die notwendige Rückbesinnung auf den Kerngedanken des Sozialstaats, der notleidenden Menschen soziale Leistungen anbietet und nicht generell aufzwingt«, formulierte die SPD-Abgeordnete Angelika Weikert.Die CSU will am Lagerzwang festhalten. Ihr Abgeordneter Bernhard Seidenath berief sich darauf, daß der Gesetzentwurf der SPD teilweise gegen Bundesgesetze verstoße. Unerwähnt ließ er jedoch, daß die Mehrheit der Länder nicht mehr bereit ist, diese unmenschlichen bundesgesetzlichen Regelungen hinzunehmen und deshalb diesen Verstoß ohne weitere Konsequenzen in Kauf nehmen. Seine These, die Unterbringung in Wohnungen führe zu Mehrkosten von 20 Millionen Euro pro Jahr hielt Seidenath allerdings nicht mehr aufrecht. Unlängst vom Bayerischen Flüchtlingsrat veröffentlichte Zahlen hatten vielmehr ergeben, daß durch die Abschaffung der Lagerpflicht Steuergelder gespart werden. In Kürze will die CSU eigene Vorschläge zur Neugestaltung der Unterbringung von Flüchtlingen vorlegen. Mehr als kleine Änderungen an der bestehenden Situation sind dabei aber nicht zu erwarten.

Ob es tatsächlich zu einer Abkehr der von rigiden Flüchtlingspolitik im Freistaat kommt, hängt in erster Linie davon ab, wie sich die FDP als Koalitionspartner der CSU verhält. Ihre Abgeordnete Brigitte Meyer begrüßte den Gesetzentwurf und kritisierte, daß die CSU noch immer nicht zu einer koalitionsinternen Einigung bewegt werden konnte. Sie sieht jedoch gute Chancen für eine schnelle Neuregelung. Auf Bundesebene jedenfalls forderte die FDP bei den Koalitionsverhandlungen die Abschaffung der Flüchtlingslager. Eine längst überfällige Maßnahme, zu der es auch im Papier der Bayern-SPD unter Punkt C heißt: »Alternativen: Keine.«

Von Johann Heckel

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