Neuburger Rundschau, 21.10.2010
Kritik an bürokratischen Scheuklappen
Stippvisite in der Neuburger Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber: Nachdem die Regierung von Oberbayern zunächst einem Besuch der Grünen-Bundestagsabgeordneten Agnes Krumwiede ablehnend gegenübergestanden hatte, hat Regierungsvizepräsident Ulrich Böger gestern nun doch einen Termin möglich gemacht. Krumwiede und ihre Parteikollegin, die Landtagsabgeordnete Renate Ackermann (Ansbach), sowie Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat und weitere Begleiter machten sich ein Bild davon, wie Flüchtlinge in Neuburg leben.
„Ich bin schockiert davon, was ich hier gesehen habe“, lautete Agnes Krumwiedes Eindruck am Ende des Rundgangs durch drei der Häuser. „Am meisten bin ich entsetzt von der Bürokratie, die hier waltet.“ Die Abgeordnete kritisierte unter anderem das bayerische System, wonach die Asylbewerber anhand vorgefertigter Listen bestimmte Mengen an Lebensmitteln bestellen können - streng rationiert.
Sie sprach von „Unmündigkeit, nicht selbst in den Supermarkt gehen zu können.“ Hier werde der Menschenwürde nicht in der Weise entsprochen, wie man es von einem Land wie Deutschland erwarten könne. In anderen Bundesländern bekommen Flüchtlinge Geld, um selbst einzukaufen. Als Missstand empfand sie auch die Rahmenbedingungen für Körperhygiene. Jeweils eine Dusche für 40 Männer und eine für 20 Frauen sei indiskutabel.
Besonders erschüttert war Krumwiede vom Einzelschicksal des beinamputierten Irakers Aso Jauhar Rafik, der auf 14 Quadratmetern ohne Waschbecken lebt, weder einen Behindertenausweis bekommt, noch die Möglichkeit hat, in eine behindertengerechte Wohnung umzuziehen. Für ihn will die Grünen-Politikerin eine Petition in den Landtag einbringen: „Er muss den Behindertenstatus anerkannt bekommen, muss eine Privatwohnung und eine Arbeitsmöglichkeit bekommen sowie einen weiterführenden Deutschkurs belegen können“, will sie erreichen.
Das Klima zwischen Flüchtlingsrat, Politikern und dem Regierungsvizepräsidenten war gestern spürbar angespannt, hatte es doch bereits im Vorfeld Differenzen gegeben. Während die Kritiker des bayerischen Asylbewerber-Systems Ulrich Böger „bürokratische Scheuklappen“ vorwarfen und den „Unwillen“, etwas für die Flüchtlinge tun zu wollen, berief sich der Regierungsvizepräsident auf die Gesetze, die seinen Handlungsspielraum einschränken.
Zudem verwies er darauf, dass die Regierung durchaus aktiv werde. Im vergangenen Sommer habe man bereits rund 180 000 Euro investiert für neue Duschen, Edelstahltische in den Zimmern und Zeitschaltuhren in den Küchen. Bis 2011 sollen im Neuburger „Lager“ weitere Spülküchen und abgeschlossene Wohneinheiten geschaffen werden. Die Gesamtkosten dafür: etwa 550 000 Euro.
Für die Grünen ist es - wie für andere Parteien auch - ein langfristiges Ziel, die Gemeinschaftsunterkünfte aufzulösen, zugunsten von Privatwohnungen. Auf dem Weg zu dieser Maximalforderung sollen, so Renate Ackermann, „die Lebensbedingungen in Einzelschritten verbessert werden, so lange die Flüchtlinge noch in der Gemeinschaftsunterkunft leben“. „Wir werden auf jeden Fall hartnäckig dranbleiben, die Neuburger Situation positiv zu verändern“, so Krumwiede.
Barbara Würmseher
Quelle: Neuburger Rundschau