Süddeutsche Zeitung, 30.07.2010

Karlsruhe muss mal wieder ran

Ginge es um Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld, so wäre der Aufschrei groß: Seit 17 Jahren sind die Leistungen für Asylbewerber nicht an die Preise angepasst worden, viele von ihnen schlagen sich nach wie vor mit 41 Euro Taschengeld im Monat für „persönliche Bedürfnisse“ durch. Flüchtlinge sind keine Wähler, und ihre Lobby ist schwach. Das spiegelt sich in den Zahlen wider. Sie leben auf der untersten Ebene der sozialen Netze. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat dieses Netz nun besichtigt und kam zu dem Schluss: Dieses Niveau reicht nicht für ein menschenwürdiges Leben. Die Richter halten die Regeln für verfassungswidrig und haben sie dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Nun wird wohl Karlsruhe die überfällige Anpassung der Leistungen erzwingen.

Das Gesetz für Asylleistungen ist längst zum Instrument der Abschreckung von Flüchtlingen verkommen. Die inoffizielle Botschaft lautet: Wer nach Deutschland kommt, darf nicht mit einem guten Auskommen oder mit der großen Freiheit rechnen, denn er lebt jahrelang unter dem Sozialhilfeniveau. Und diese Botschaft ist seit dem Asylkompromiss 1992 immer wieder verstärkt worden – ganz offen durch schärfere Gesetze, und schleichend dadurch, dass die Leistungen nicht erhöht wurden.

Dass Bund und Länder diese Hilfe nie der Inflation angepasst haben, ist armselig. Spätestens seit dem Karlsruher Urteil zu den Hartz-IV-Sätzen vom Februar ist klar, dass auch die Leistungen für Asylbewerber so nicht haltbar sind. Doch selbst jetzt zögert die Bundesregierung, eine Reform anzupacken. Das zeit: Es fehlt der Wille. Offenbar lässt sie den Beruf der Politik lieber von den Verfassungsrichtern erledigen.

Roland Preuß

Quelle: Druckausgabe vom 30.07.2010, Seite 4

Zurück