Donaukurier, 28.09.2012

Kapelle wird zum Notquartier


Manche fühlen sich bereits an das Flüchtlingschaos der 1990er Jahre erinnert – stark steigende Asylbewerberzahlen stellen den Freistaat plötzlich wieder vor Probleme, die gelöst zu sein schienen. Es fehlt an Unterkünften für die nach Deutschland strömenden Flüchtlinge.

„Wir können so froh sein, dass das Wetter hält, da können die Leute wenigstens nach draußen“, sagt Werner Pfingstgraef. Der Diakon, zuständig für die Betreuung unbegleiteter jugendlicher Flüchtlinge, sitzt am Freitagmittag in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Zirndorf in einem Büro, in dem es zugeht, wie in einem Taubenschlag. Drei Mitarbeiter des sozialen Dienstes wollen gerade an zwei Computern arbeiten und zwischendurch schneit immer wieder ein Jugendlicher mit einer Frage herein.

750 bis 800 Menschen leben derzeit auf dem Gelände in Zirndorf. Offiziell ist Platz für 500 bis 550. Unter den Flüchtlingen sind 38 unbegleitete Jugendliche. Keine große Zahl, aber unter der Raumnot leiden alle. „Alle müssen zusammenrücken, aus Zweibettzimmern werden Vierbettzimmer“, erzählt Pfingstgraef. „Jugendliche, die hoch belastet sind, kommen so nicht zur Ruhe.“

Auch für viele Familien hat die Enge unangenehme Folgen, schildert Erwin Bartsch, Gemeindepädagoge von der evangelischen Rochusgemeinde Zirndorf, die Lage. Damit zwei Familien in einem Acht-Betten-Raum untergebracht werden können, müssen manchmal die Männer von Frauen und Kindern getrennt werden. „Das bringt die Familien sehr durcheinander“, sagt Bartsch.

Der Diakon öffnet beim Rundgang durch die Aufnahmeeinrichtung die Tür der katholischen Kapelle St. Paul. In dem 70-Quadratmeter-Raum ist die Luft zum Schneiden, obwohl alle Fenster gekippt sind. Drei Frauen und ein Mann sitzen auf den früheren Kirchenbänken an der Seite. Die anderen „Zimmergenossen“ sind unterwegs. Auf dem Fußboden sind ihre Matratzen gestapelt. „Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen“, klagt eine junge Frau. „Ich bin schwanger, mir wird hier schlecht.“ Bartsch will beruhigen: „Vielleicht bekommen Sie am Montag ein Zimmer.“ Da beginnt die Frau fast zu weinen. „Wo sollen wir denn duschen“, fragt sie und stützt den Kopf in ihre Hände.

Im Kindergarten im Sozialzentrum spielen gerade zehn Kinder mit Erzieherin Anastasia Kohlschütter. Die Kinderbetreuung hat um neun Uhr begonnen. „Die Kleinen schlafen hier sehr lange“, erklärt die junge Frau. Denn nachts kämen sie oft erst um zwei Uhr zur Ruhe. Nachts sei es hier immer zu laut.

Regierungsamtsrat Robert Dirrigl von der Regierung von Mittelfranken leitet die Zentrale Aufnahmeeinrichtung, von denen es nur zwei in Bayern gibt. Die zweite ist in München. „So viele Menschen hatten wir hier noch nie“, sagt auch er. Zwischen dem 17. und 27. September seien 405 Asylbewerber in Zirndorf angekommen. Normalerweise landeten hier in einer Woche 100 Menschen, sagt Dirrigl.

Beim Sozialministerium in München heißt es, die Prognosen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge seien von wesentlich weniger Flüchtlingen ausgegangen. Vor allem aus Serbien und Mazedonien reiße der Flüchtlingsstrom nicht ab. Deshalb sei die Zirndorfer Einrichtung überbelegt.

Zunächst bleibt als Lösung gegen die Raumnot nur noch der Aufbau von Zelten. Sechs solcher Unterkünfte mit einer Größe von jeweils 30 Quadratmetern und Platz für 84 Personen sind am Freitag vom Roten Kreuz aufgestellt worden. Sie sind aber erst am Mittwoch bezugsfertig. Jedes Zelt erhalte einen Holzboden, ein Heizgebläse und Beleuchtung. Als Schlafgelegenheit würden Feldbetten zur Verfügung gestellt. In ein paar Wochen werden die Zelte wohl durch Container ersetzt, sagt Diakon Bartsch.

Auch Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) räumt ein, dass sich Zirndorf am Rande der Aufnahmekapazität befinde. Von der Idee, ein drittes Aufnahmelager einzurichten, hält sie aber nichts. Es würde ebenfalls schnell seine Kapazitätsgrenze erreichen. Helfen könnte vor allem eine Beschleunigung der Asylverfahren und eine Verkürzung des Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen, so Haderthauer.

Die Grünen und der bayerische Flüchtlingsrat indes werfen Haderthauer schwere Fehler vor. Während in den meisten Bundesländern Flüchtlinge nach Bewilligung des Aufenthalts auf den freien Wohnungsmarkt verteilt würden, erfolge in Bayern die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Da diese nun überfüllt seien, „stauen“ sich die Asylbewerber nun in Zirndorf. Auch der Koalitionspartner FDP nennt die Zustände in dem Lager „völlig unerträglich“. Die FDP-Sozialexpertin Brigitte Meyer kritisiert, die dramatische Lage in Zirndorf sei absehbar gewesen. „Schon im vergangenen Jahr platzte die Einrichtung aus allen Nähten.“

Von Jutta Olschewski und Roland Beck

Quelle: Donaukurier

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