Süddeutsche Zeitung, 19.03.2013
Jugend hinterm Stacheldraht
Jugendliche Flüchtlinge im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, die ohne Eltern eingereist sind, sollen nicht mehr in Massenquartieren kaserniert werden. Das städtische Jugendamt soll diese staatliche Praxis nicht mehr länger hinnehmen, fordern die Rathaus-Grünen in einem Antrag. Dies müsse die Konsequenz sein aus dem Gewaltausbruch in der Bayernkaserne, bei dem es zu Auseinandersetzungen zwischen den Jugendlichen und dem Wachpersonal kam.
"Junge Flüchtlinge benötigen dringend sozialpädagogische Betreuung und ein sicheres Umfeld", betont Grünen-Fraktionschefin Gülseren Demirel. Alle jungen Flüchtlinge im Alter bis 18 Jahre müssten in Jugendhilfeeinrichtungen oder Wohnprojekten untergebracht werden, verlangen die Grünen in einem Antrag.
Nach der UN-Kinderrechtskonvention sei der Staat dazu verpflichtet, für alle in Deutschland lebenden Kinder das Kindeswohl zu gewährleisten. Flüchtlingskindern ist "derselbe Schutz zu gewähren wie jedem anderen Kind", das, aus welchem Grund auch immer, nicht in der familiären Umgebung lebt.
Dazu im Widerspruch steht das Asylverfahrensgesetz, das junge Flüchtlinge bereits mit einem Alter von 16 Jahren "asylmündig" macht. Zudem wird bestimmt, dass die Jugendlichen von diesem Alter an zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft, wie etwa der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne, wohnen müssen. Nach dem Kinder- und Jugendhilferecht aber hätte das Jugendamt nicht nur das Recht und die Pflicht, die jungen Flüchtlinge in Obhut zu nehmen, sondern auch die Befugnis, die Jugendlichen in einer geeigneten Einrichtung oder einer sonstigen Wohnform unterzubringen.
Ein Besuch der Landtags-Grünen in der Bayernkaserne Ende vergangener Woche hatte deutlich gemacht, dass die Unterbringung in den ehemaligen Mannschaftsquartieren den Anforderungen der Jugendhilfe nicht entspricht. Im Haus 58 der Bayernkaserne leben 145 Jugendliche hinter Stacheldraht, zumeist in Vier-Bett-Zimmern, bewacht von einem Sicherheitsdienst. Zwischen 20 und acht Uhr gab es bislang keinerlei sozialpädagogische Betreuung.
"Häufig erneut traumatisiert"
Nun hat der Freistaat zwar zugestanden, dass die Innere Mission ihr Betreuungspersonal von 16 auf 20 Stellen aufstocken darf. Doch das ist immer noch sehr weit entfernt vom Standard, der für Jugendliche sonst üblich ist. "Das Beste wäre es, wenn sie gleich von Anfang an in eine Jugendhilfeeinrichtung kommen", sagte Claudia Stamm, Landtagsabgeordnete der Grünen, nach dem Besuch. Derzeit dauert der Aufenthalt dort oft noch länger als drei Monate, obwohl Regierungsvizepräsidentin Maria Els versicherte, "dass die Jugendlichen hier nur so kurz wie möglich bleiben" und dann in Einrichtungen kämen, wo sie "bedarfsgerechte Betreuung" erhalten.
Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission, appellierte an den Freistaat, das Betreuungskonzept, das die Innere Mission bereits vor zwei Jahr gemeinsam mit der Regierung von Oberbayern entwickelt und dem Sozialministerium vorgelegt habe, endlich umzusetzen. Demnach wären Gruppen von maximal zwölf Jugendlichen vorgesehen. Statt eines Betreuers für durchschnittlich zehn Jugendliche müsste außerdem eine Stelle für im Schnitt 3,19 Jugendliche finanziert werden. Dies würde eine Verdreifachung des Personaleinsatzes bedeuten.
Gülseren Demirel bekräftigte, "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gehören nicht in Massenunterkünfte wie die Bayernkaserne, wo sie auf Grund der schlechten Bedingungen häufig erneut traumatisiert werden". Sie sieht allerdings auch den Freistaat in der Pflicht, den Vorrang des Kindeswohls endlich rechtlich zu verankern. "Erste Schritte in diese Richtung sind bereits im Saarland, in Rheinland-Pfalz und Hessen erkennbar, die eine Prüfung des Jugendhilfebedarfs für alle Flüchtlinge bis 18 Jahre vornehmen", erklärte Gülseren Demirel. "Diesem Beispiel sollte auch Bayern folgen."
Sven Loerzer
Quelle: Süddeutsche Zeitung