dpa, 22.06.2012

Iraner wollen Hungerstreik verschärfen

Männer wollen nun auch auf das Trinken von Wasser verzichten


Der weiße Pavillon in der Würzburger Innenstadt fällt kaum mehr auf. Die Passanten strömen an dem Zelt vorbei, nur wenige schenken den Menschen darin einen flüchtigen Blick oder bleiben stehen. In dem Zelt sitzen Iraner mit zugenähten Mündern. „Damit sind sie einen Schritt zu weit gegangen“, sagt eine 74 Jahre alte Passantin. Sie sei den Iranern eigentlich wohlgesonnen. „Es ist grauenvoll, was in ihrem Land passiert. Sie sollten hier aufgenommen werden. Aber mit der Aktion haben sie sich keinen Gefallen getan“, sagt die grauhaarige Würzbürgerin weiter. Am Freitag drohten die Männer zudem, ihren Hungerstreik noch weiter zu verschärfen und auch auf das Trinken von Wasser zu verzichten.

Die iranischen Flüchtlinge haben in den vergangenen drei Monaten mit ihrem Dauerprotest auf der Straße für viel Wirbel gesorgt. Nach fast 100 Tagen verlieren sie nun jedoch Unterstützer und Sympathisanten.

Am Anfang ihres Hungerstreikes in der Würzburger Innenstadt wurde den iranischen Asylbewerbern noch viel Sympathie entgegen gebracht. Es wurde zugehört, unterschrieben, gespendet und solidarisch mitgestreikt. Auch Landtagspolitiker schauten in den Zelten vorbei, sprachen ihre Unterstützung aus und setzten sich für die Männer in München ein. Unter ihnen auch die Grünen-Politikerin Simone Tolle.

Einstiger Sprecher hat sich zurückgezogen

Dann aber driftete der Protest ins Radikale ab. Einige der Iraner nähten sich die Münder zu. Seitdem ändert sich die Stimmung: in der Öffentlichkeit, in den Medien, bei den Unterstützern und sogar bei den Flüchtlingen. Der einstige Sprecher der Gruppe hat sich zurückgezogen. „Ich war nicht einverstanden mit den zugenähten Lippen“, kommentiert Hassan Hosseinzadeh diesen Schritt. „Das ist nicht mein Kämpfen. Das ist nicht mein Weg.“ In den Medien wird der Protest seit Wochen ebenfalls zunehmend kritisch kommentiert. So schreibt die „Main-Post“: „Wer sich den Mund zunäht, verweigert die Kommunikation“.

Auch Politiker wie Tolle haben sich distanziert. „Es ist gut, dass endlich jemand aufgestanden ist. Aber der Kampf auf der Straße in dieser Art und Weise ist vorbei“, ist die Landtagspolitikerin überzeugt. „Der Protest war erfolgreich – bis zu dem Tag, wo sie sich die Lippen zugenäht haben.“ Mit ihrem Protest wollen die Iraner erreichen, dass sie als Flüchtlinge anerkannt werden. Zudem fordern sie nach eigenen Angaben die Abschaffung der Gemeinschaftsunterkünfte und einen Abschiebungsstopp.

Sechs der einst zehn Streikenden wurden bereits vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration in Nürnberg anerkannt, sie müssen zunächst keine Abschiebung in den Iran fürchten. „Die Teilnahme am Hungerstreik führte jedoch nicht zu dieser Anerkennung“, stellt das Bundesamt klar. Drei warten noch auf ein Urteil vom Verwaltungsgericht. Einer ist abgelehnt worden.

Unterstützer-Szene ist gespalten

Auch die Unterstützer-Szene ist gespalten. Die einen sagen, die drastischen Protestmethoden seien Ausdruck der großen Verzweiflung. Die anderen fürchten einen Imageverlust für die Asylbewerber und unterstützende Vereine, die legitim und anständig für eine Verbesserung eintreten. „Wir brauchen keine Märtyrer“, heißt es von dieser Seite. Natürlich sei es wichtig, die Ignoranz der Gesellschaft bei diesem Thema zu knacken. Die noch immer streikenden Iraner hätten sich mittlerweile jedoch verrannt. „Es ist nun schwer, da ohne Gesichtsverlust wieder raus zu kommen“, sagt auch Politikerin Tolle.

Die normalerweise anonymen Asylbewerber, die meist am Stadtrand in Gemeinschaftsunterkünften (GU) wohnen müssen, haben durch die Proteste in Würzburg ein Gesicht bekommen. Sie haben die öffentliche Debatte belebt, die Zustände in den GUs standen auf dem Prüfstand, Politiker haben sich ein Bild davon gemacht.

Doch das reicht den Protestierenden nicht, sie halten weiter am Protest in der Innenstadt fest. Sie sind wütend, verzweifelt und frustriert. Gewaltbereitschaft signalisiert jedoch in dem weißen Pavillon mitten in der Innenstadt keiner von ihnen. Auch die Polizei fürchtet keine konkrete Gefährdung. „Wir wissen, dass es radikal ist. Aber auch das ist Demokratie“, sagt der Iraner Ajin Assadi durch seine zugenähten Lippen.

Quelle: Nürnberger Nachrichten

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