Mainpost, 28.03.2012
Iraner wollen Hungerstreik verlängern
Asylbewerber kampieren seit zehn Tagen vor dem Würzburger Rathaus – Kritik an Behandlung durch Staatsregierung
Die Sonne scheint auf den Vierröhrenbrunnen vor dem Würzburger Rathaus und der Duft von Pasta und Pizza liegt in der Luft. Vor der Eistheke hat sich eine lange Schlange aufgebaut, die sich bis zu einem provisorisch aufgebauten Zeltpavillon vor der Commerzbank zieht.
Es ist ein skurriles Bild, das sich dem aufmerksamen Beobachter bietet. Während rund um den Brunnen gegessen, getrunken, eingekauft und gelacht wird, hängen an dem blau-weiß gestreiften Zelt Bilder von erhängten Menschen, blutenden Körpern und verstümmelten Gesichtern. „Wir wollen zeigen, wie brutal es im Iran zugeht“, erzählt Hassan Hosseinzadeh. Der 34-Jährige ist einer der mittlerweile zehn Asylbewerber, die in Würzburg mit einem Hungerstreik für eine Anerkennung als politische Flüchtlinge kämpfen.
Seit Montag vergangener Woche verweigern die Iraner das Essen, sie ernähren sich, nach eigenen Angaben, nur von Wasser, Kaffee, Tee und Fruchtsaft. Nun wollen fünf von ihnen den Streik verschärfen und ausschließlich Wasser zu sich nehmen, um ihren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen.
Einer von ihnen ist Hassan Hosseinzadeh, der Älteste der Gruppe. Er ist groß und schmal gebaut und wirkt stark und unverletzlich. Das ändert sich, als Hosseinzadeh seine Geschichte erzählt. Es ist eine Geschichte, die von Folter, Verschleppung und Polizeigewalt geprägt ist. Bevor er 2007 nach Deutschland kam, wurde er, so erzählt der Flüchtling, vom iranischen Geheimdienst gefangen genommen, zwei Wochen lang in einem Keller festgehalten und geschlagen, ohne je den Grund dafür zu erfahren.
Angst vor der Todesstrafe
Hosseinzadeh habe, so berichtet er, lediglich einem befreundeten Politiker geholfen und sich negativ gegenüber dem Regime geäußert. Ihm bliebe „keine andere Wahl als zu fliehen“, erzählt der Vater eines achtjährigen Mädchens. Seine Familie musste er zurücklassen, telefonieren sei zu gefährlich, und wenn er zurückginge, würde ihn die Todesstrafe erwarten, sagt er.
Das Auswärtige Amt in Berlin sieht die Lage in der islamischen Republik durchaus kritisch: Gewaltanwendungen der Sicherheitskräfte, Verhaftungswellen, öffentliche Schauprozesse und Einschränkungen der Grundfreiheiten der Bevölkerung seien an der Tagesordnung.
In Deutschland, erzählt Hosseinzadeh weiter, habe man auf Hilfe gehofft. Stattdessen sei man in eine Spirale der Ungewissheit geraten. In den Flugblättern, die freiwillige Helfer an die Passanten verteilen, beklagen die Asylsuchenden die „menschenunwürdige Behandlung des bayerischen Staates“, die ihnen zuteil werde, und fordern Christine Haderthauer auf, nach Würzburg zu kommen. Die bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung ist „die Verantwortliche“, auf die sich die Wut und die Forderungen der Hungerstreikenden fokussieren. Die bayerischen Grünen haben Haderthauer nun im Landtag einen offenen Brief mit den Anfragen der Streikenden überreicht. In einer gemeinsamen Pressemitteilung rufen auch die Grüne Jugend und die Jungen Liberalen Bayern die Sozialministerin zum Handeln auf.
Christine Haderthauer sieht jedoch keinen Anlass, nach Würzburg zu kommen. In einer E-Mail an die Streikenden betont die bayerische Ministerin, dass die angeprangerten Punkte nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Für die Durchführung des Asylverfahrens sei das Bundesamt für Migration zuständig. Das Sozialministerium habe die Aufsicht über den Vollzug des bayerischen Asylbewerberleistungsgesetzes und sei damit allein für die Unterbringung und die Versorgung von Asylbewerbern verantwortlich, erklärt Daniela Schürf, eine Sprecherin des Ministeriums, und fährt fort: „Mängel in den von uns zuständigen Bereichen sind uns nicht bekannt.“
Folterbilder erschrecken Passanten
Währenddessen sammeln sich in Würzburg rund 300 Demonstranten auf dem Barbarossaplatz. „Die Menschen hier sehen das anders als die Regierung“, ruft Shahnaz Morattab von der internationalen Föderation iranischer Flüchtlinge. Die Menge, die hauptsächlich aus Studenten besteht, applaudiert. „Es ist unmöglich, wie die Flüchtlinge hier leben müssen“, sagt Birte Meske (23), eine der Demonstrantinnen. Matthias Grünberg von den Grünen findet es gut, dass endlich Druck aufgebaut wird. Mit lauter Trommelmusik und selbstgemalten Plakaten zieht der Zug durch die Innenstadt.
Am Vierröhrenbrunnen nehmen derweil Neugierige den Zeltpavillon unter die Lupe. Mit einem Eisbecher in der Hand begutachten sie die Bilder und Plakate, die an den Außenwänden hängen. „Puh, ist das ekelig“, sagt ein Mädchen beim Anblick an Kränen erhängter Männer. Ihr Vater zieht sie weiter, das sei nichts für sie, murmelt er. Andere sind offensiver. Eine ältere Dame verkündet lautstark, dass der Iran jenes Land sei, das mit Atombomben auch Deutschland angreifen wolle. Als ein junger Mann ihr erklärt, dass die Hungerstreikenden nicht dafür verantwortlich sind, lenkt sie ein. Es sei eben alles nicht so einfach, findet sie.
Einige Iraner haben sich mittlerweile in das mit Decken ausgelegte Zelt zurückgezogen. Der Hungerstreik zehrt an ihren Kräften, vor allem für die Jüngeren ist es schlimm. „Es treten vermehrt Kopf- und Magenschmerzen auf“, sagt Dr. Rainer Schohe. Der Würzburger Allgemeinmediziner kümmert sich ehrenamtlich um die Asylbewerber und untersucht jeden Tag ihren Gesundheitszustand. „Für mich ist es eine humanitäre Frage“, sagt er. Gesundheitsschädigend sei das Fasten momentan noch nicht, man müsse sehen, wie es weitergeht.
Die Asylbewerber wollen nun zwei Wochen länger streiken, als zunächst geplant. „Der Antrag ist bei uns eingegangen“, bestätigt der Pressesprecher der Stadt Würzburg, Christian Weiß. Eine Entscheidung werde vor Ablauf der eigentlichen Frist, am 2. April, fallen.
Ans Aufgeben denkt unter den Iranern niemand. „Wir haben ja keine andere Wahl“, sagt Hassan Hosseinzadeh. Der Iraner blickt auf die vergnügten Passanten vor der Eisdiele, hält einen Moment inne und nimmt einen Stapel Flugblätter in die Hand.
Meike Rost
Quelle: Mainpost (Würzburg)