Süddeutsche Zeitung, 06.02.2010

Inflation des Hungerstreiks

Kommentar

Ein Hungerstreik ist das schwerwiegendste, das letzte Mittel, um für etwas zu kämpfen. Er bedeutet, dass jemand sein Leben aufs Spiel setzt, weil er seine Forderungen für wichtiger hält als seine Existenz. Entsprechend ernsthaft sind diese Forderungen. Und deshalb erfahren Menschen, die im Hungerstreik sind, auch große Aufmerksamkeit. Tiefe Verzweiflung spricht aus ihnen.

Was in Hauzenberg im Bayerischen Wald geschieht, hat mit einem solchen ernsthaften Hungerstreik nichts zu tun. Angeblich hungern dort acht verzweifelte Asylbewerber seit fast zehn Tagen, um gegen ihre Lebensbedingungen zu protestieren. Doch wer die Verzweifelten besucht, trifft auf junge, kräftige Männer, die Traubenzucker essen und zum Fitnesskurs gehen. Oder sich aufs Fußballspiel am Wochenende freuen. Das sollen sie gerne alles tun - aber es nicht als Hungerstreik deklarieren. Sonst schlägt die Anteilnahme der Öffentlichkeit schnell in Spott um.

Die deutschen Asylgesetze sind streng, die Unterkünfte oft trist. Es ist wahrlich nicht schön, untätig in einem engen Zimmer zu leben. Es ist auch nicht schön, Essenspakete zu bekommen, statt sich das gewohnte Essen aus der Heimat zu kochen. Das ist langweilig und frustrierend. Es ist das gute Recht von Flüchtlingen, dagegen zu protestieren. Ein Hungerstreik aber ist das allerletzte Mittel. Wer den Hungerstreik zum Gag macht, macht berechtigte Anliegen lächerlich. Wer den Flüchtlingen so etwas einredet, der schadet ihnen mehr als er ihnen nutzt. Weil ihnen dann, wenn es wirklich etwas Ernstes zu bemerken gilt, keiner mehr glaubt.

Annette Ramelsberger

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