Zeit, 25.11.2009

Im Teufelskreis

Wer Flüchtlingen die Arbeitssuche schwer macht, darf sich nicht wundern, wenn sie von Sozialhilfe leben müssen

 

Joachim Herrmann hätte die Welt gern einfach. Der bayerische Innenminister, der Mitglied der CSU ist, möchte keine Zuwanderung auf Kosten der Sozialsysteme. Das leuchtet ein. Die Frage ist nur, wie man das erreicht. Anfang Dezember wird Herrmann die Innenminister der anderen Bundesländer in Bremen treffen. Dann wird er mit den Kollegen darüber beraten, in welcher Form man die derzeitige Aufenthaltserlaubnis für geduldete Ausländer über den Jahreswechsel hinaus verlängern soll. Man müsse den Flüchtlingen Druck machen, damit sie endlich Arbeit suchten, meint Herrmann. Er will damit unsere Sozialsysteme schützen. Doch so simpel ist die Sache nicht.

Die hier geduldeten Ausländer brauchen keinen Druck. Sie brauchen vor allem das Recht zu arbeiten. Unser Asyl- und Aufenthaltsrecht ist darauf ausgerichtet, einem Flüchtling lange einen Job zu verwehren. Er muss vom Sozialgeld leben, ob er will oder nicht. Das ist es, was den Sozialsystemen schadet.

Jetzt streiten die Innenminister darüber, was aus der Aufenthaltserlaubnis auf Probe werden soll. Sie macht die Arbeitssuche leichter, weil der potenzielle Chef nicht mehr befürchten muss, dass sein künftiger Mitarbeiter morgen ausgewiesen wird. Rund 31.000 Menschen haben sie 2007 bekommen. Damals gab ihnen die Regierung bis Ende diesen Jahres Zeit, um einen Job zu suchen. Wer dann immer noch überwiegend von Sozialhilfe lebt, dem sollte es wieder schwer gemacht werden, eine Arbeit zu finden.

Weil jetzt aber Wirtschaftskrise herrscht, haben die Innenminister ein Einsehen. Sie wollen die Regelung wohl um zwei Jahre verlängern. Doch dann soll endgültig Schluss sein, wenn es nach dem Wunsch von Joachim Herrmann geht. Dann sollen diejenigen, die immer noch keine Arbeit haben, schnellstmöglich abgeschoben werden. Doch das ist nicht so einfach, wie man denkt.

Die Aufenthaltserlaubnis auf Probe haben ohnehin nur Menschen bekommen, die schon sehr lange in Deutschland leben. Flüchtlinge mit Kindern mussten Anfang 2007 mindestens sechs Jahre hier sein, Alleinstehende sogar acht. Schon damals war es über Jahre nicht gelungen, sie abzuschieben. Meist wird es auch jetzt nicht möglich sein. Sie werden bleiben. Und weiterhin von den Sozialsystemen leben, wenn man ihnen die Chance auf einen Job verwehrt.

Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, dessen Antrag auf Asyl wird meist abgelehnt. Allerdings kann es sein, dass er trotzdem bleiben darf. Vielleicht, weil in seiner Heimat Bürgerkrieg herrscht; vielleicht, weil er keine gültigen Papiere besitzt und sein Land ihn nicht wiederhaben will; vielleicht, weil man gar nicht weiß, wo er herkommt. Es gibt noch mehr Gründe. Wenn man ihn nicht in sein Herkunftsland abschieben kann, erhält er hier eine sogenannte Duldung. Die muss er immer wieder um ein paar Monate verlängern lassen, damit er beweisen kann, dass er sich nicht illegal hier aufhält. Doch er kann jederzeit abgeschoben werden. Er führt ein Leben auf Abruf.

Die etwa 93.000 Menschen, die hier geduldet sind, leben in einem Teufelskreis. Einerseits wird ihnen vorgeworfen, sie machten es sich bequem auf Kosten der Deutschen. So wurden sie zum Hassobjekt von Rechtsradikalen. Andererseits erlaubt man ihnen nicht, hier wie jeder andere arbeiten zu gehen.

Während des ersten Jahrs in Deutschland ist es den Flüchtlingen verboten zu arbeiten. Anschließend dürfen sie nur Jobs annehmen, für die sich weder ein Deutscher noch ein EU-Bürger, noch ein Nachfahre der früh eingewanderten Gastarbeiter findet. Solche Stellen gibt es kaum. Zumal der Arbeitgeber bereit sein muss, in langen Prozeduren den Mangel an anderen Bewerbern zu beweisen. So sind geduldete Ausländer meist zur Untätigkeit verdammt. Es ist, als würde man jemanden an einen Baum fesseln und ihm dann vorwerfen, dass er faul an seinem Platz verharrt.

Die strengen Auflagen für Asylbewerber sind Anfang der 1990er Jahre entstanden. Damals kamen fast 450.000 Flüchtlinge pro Jahr ins Land. Das hat die hiesige Gesellschaft überfordert. Inzwischen ist die Flut versiegt. Europa hat sich erfolgreich abgeschottet. Gerade mal 23.000 Asylbewerber haben es dieses Jahr noch bis nach Deutschland geschafft. Das ist eine verschwindend geringe Zahl in einem Land mit 82 Millionen Einwohnern.

Die Situation hat sich also grundlegend gewandelt. Höchste Zeit, die politischen Vorgaben der neuen Lage anzupassen.

Wer sich legal in Deutschland aufhält, muss seinen Lebensunterhalt selbst verdienen dürfen. Nur so entlastet man die Sozialsysteme – nicht, indem man die Jobsuche erschwert. Es gibt keinen Grund mehr, möglichst viele Schikanen aufzubauen, um weitere Flüchtlinge abzuschrecken. Deutschland liegt ohnehin im gut gesicherten Herzen der Festung Europa.

Für die deutschen Sozialsysteme wiegt viel schwerer, dass hier eine Gruppe von Parias heranwächst. Wer über viele Jahre hinweg nicht arbeiten darf, ist dazu irgendwann womöglich nicht mehr in der Lage. Zumindest seine Qualifikationen sind dann veraltet. Mit Geld aus dem EU-Sozialfonds werden jetzt langjährig geduldete Menschen wieder fit für den Arbeitsmarkt gemacht, damit sie von der Aufenthaltserlaubnis auf Probe profitieren können. Absurd, dass man öffentliche Gelder aufwenden muss, um zu reparieren, was man vorher mutwillig zerstört hat.

Das größte Drama: Unter den knapp 100.000 geduldeten Menschen sind auch viele Kinder. In etlichen Bundesländern gilt für sie noch nicht einmal die Schulpflicht. Vier Jahre lang bekommen ihre Eltern für sie nur rund zwei Drittel des ohnehin schon allzu knappen Hartz-IV-Regelsatzes für deutsche Kinder. Und wenn sie eine Lehrstelle finden, wird sie ihnen womöglich mit dem Argument verweigert, dass es auch deutsche Anwärter gibt.

Warum erlaubt man nicht allen geduldeten Flüchtlingen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Den Sozialsystemen, die Minister Herrmann so am Herzen liegen, würde das nutzen. Und den Flüchtlingen wie ihren Kindern erst recht.

Ulrike Meyer-Timpe

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