Süddeutsche Zeitung, 25.06.2013

Im Regen stehen gelassen

Flüchtlinge im Hungerstreik

Notdürftig schützen sich die Hungerstreikenden auf dem Rindermarkt vor dem Regen. Foto: Stephan Rumpf


Über Nacht ist ein Zeltlager entstanden auf dem Rindermarkt, gleich unterhalb des Brunnens. Wobei sich der Begriff Zelt bei näherem Betrachten als völlig übertrieben darstellt. Sie haben am Sonntagabend, als es zu regnen, ja, zu schütten begann, schnell irgendwo ein paar dieser weißen Pavillons aufgetrieben, die man andernorts Partyzelt nennen würde, aber von einer Party ist das alles hier weit entfernt. Sie haben große Planen über die Gestänge geworfen, blaue, weiße, grüne, um sich vor dem Schlimmsten, was von oben kommt, zu schützen.

Aber natürlich ist trotzdem alles nass und klamm am Montagmorgen. Jetzt liegen Menschen in ihren Schlafsäcken auf dem Boden, man kann sie gar nicht zählen. Manche starren bloß in die Luft, es war keine gute Nacht.

Ein Kombi fährt vor, Leute, die nicht wie Flüchtlinge aussehen, laden Schlafsäcke ein und Müllsäcke mit Klamotten drin. Nein, sie bereiten nicht etwa ihren Abzug vor. Die Sachen werden zu Münchnern gebracht, die einen Wäschetrockner zu Hause haben, damit das Nötigste, was sie brauchen, bis zur nächsten Nacht hoffentlich wieder trocken ist.

So funktioniert praktische Solidarität in diesen Tagen, Solidarität zwischen denen, die haben, und denen unter den Planen. Es hat sich auf die Schnelle ein großes Team aus Unterstützern zusammengefunden, sie kommen teils bis aus Berlin oder Hamburg, aber sie bleiben ganz im Hintergrund. Sprechen sollen allein die Hauptpersonen.

Ein lauter Hilferuf

Es ist Tag drei des Hungerstreiks. Plötzlich sind sie da, knapp 100 Flüchtlinge, inmitten der Stadt. Menschen von weit her, aus Pakistan, aus Äthiopien, aus Bangladesch, Menschen, die die Politik gar nicht in Deutschland haben will, und erst recht nicht direkt vor der Haustür. Aber da sind sie nun einmal, und obwohl alles ruhig ist, niemand ruft oder pfeift, ist dieser Protest ein lauter Hilferuf an die Politik: Behandelt uns besser!, so könnte man ihn zusammenfassen. Steckt uns nicht in Massenunterkünfte, speist uns nicht mit Essenpaketen ab, lasst zu, dass wir uns frei bewegen dürfen. Gebt uns Bürgerrechte, gebt uns Asyl!

Sie haben Holzpaletten und zusammengeklappte Biertische aufs Pflaster des Rindermarkts gelegt, um nicht in der Nässe zu liegen. Mittendrin sitzt Hanifeh Wahafi, 28, mit ihren beiden Kindern. Sie erzählt von ihrer Flucht aus Iran, wohin sie schon vor Jahren aus Afghanistan geflohen war. Als sie Deutschland erreichten, vor zweieinhalb Monaten, da sei ihr Mann gleich inhaftiert worden, abgestempelt als "Illegaler". Und ihren ältesten Sohn, zwölf ist er, den habe sie in Österreich verloren, lange Zeit habe sie gar nicht gewusst, wo er sich aufhalte.

Im Juni hätten sie schon abgeschoben werden sollen, nach Ungarn, weil das gemäß dem Dublin-II-Abkommen so vorgesehen ist, das wie eine moderne Mauer um Deutschland gezogen wurde; aber die Zwangsausweisung sei in letzter Minute wegen ihrer schlechten Gesundheit verhindert worden. Nun gibt es einen neuen Termin: Mittwoch dieser Woche. Die Mutter spricht Farsi, man verstünde sie nicht, würde nicht ein Dolmetscher aus dem Unterstützerkreis ins Englische übersetzen. Die Sprache ihrer Augen aber versteht jeder, es ist die Sprache der Verzweifelten.

Die Verzweifelten und die Wütenden

Andere sprechen die Sprache der Wütenden. Robert Seko zum Beispiel. Er ist vor dem Krieg aus seiner Heimat Kongo geflohen, wo er 1996 seine Familie bei einem Massaker verloren habe. Seit 2009 lebt er in Neuburg an der Donau, in einer Unterkunft mit Hunderten anderen. 33 Jahre alt ist er und darf nicht arbeiten. Er versteht das nicht: "Wir könnten der Gesellschaft doch was geben." Aber die deutsche Politik zwingt ihn und unzählige andere zum Nichtstun, bar jeder Perspektive und immer in der Angst vor einer möglichen Abschiebung. Seko erklärt, warum er in Hungerstreik getreten ist: weil ihm irgendwann der Tod lieber ist als dieses Leben. So spricht einer, der sich seiner Würde beraubt sieht.

Plötzlich steht Brigitte Meier auf dem Rindermarkt. Sie ist nicht wirklich Adressatin der politischen Forderungen, aber als Sozialreferentin der Stadt sorgt sie sich um die Menschen - und sucht den "Veranstalter". Die Suche muss erfolglos bleiben, denn einen "Veranstalter" gibt es nicht. Es gibt keine straffe Organisation hinter dem Protest, das haben die Flüchtlinge schon selbst gemacht. Sie sind aus ganz Bayern nach München gereist und haben sich nach dem Ende ihrer Demo am Samstag niedergelassen. "Non-Citizen" nennen sie sich, um zum Ausdruck zu bringen, dass man ihnen bestimmte Bürgerrechte vorenthält.

"Ihre Forderungen sind berechtigt", erklärt Meier, "wir verstehen sie." Das sagt sie auch in Richtung Staatsregierung, die für die Unterbringung und Behandlung der Flüchtlinge zuständig ist. Meier hat unter den Planen eine hochschwangere Frau gesehen. Wenn diese Frau lieber im Regen auf dem Rindermarkt ausharre als in ihre Unterkunft zu gehen, sagt Meier, dann sollte die Staatsregierung doch mal in sich gehen. Je länger man mit der SPD-Politikerin spricht, desto mehr empört sie sich, weil es doch auch um Humanität gehe, nicht bloß um Politik.

Die Ministerien fühlen sich nicht zuständig

Auch die SPD-Fraktion im Landtag ruft der Hungerstreik auf den Plan. Per Pressemitteilung kündigen die Abgeordneten Isabell Zacharias und Hans-Ulrich Pfaffmann für Montagnachmittag ihren Besuch im Camp an, es ist ja auch Wahlkampf, und geißeln die "menschenunwürdigen Bedingungen", unter denen die Schutzsuchenden leben müssen, regulär, versteht sich, jenseits des Rindermarkts.

Es wäre interessant zu erfahren, was die Staatsregierung zur Kritik der Hungerstreikenden sagt. Im Sozialministerium aber heißt es, man sei dafür nicht zuständig, bitte das Innenministerium fragen. Nein, heißt es dort, zuständig sei schon das Sozialministerium, bitte dort anrufen. Nein, nein, heißt es dort erneut, dazu sollen die im Innenministerium was sagen. Am Ende sagt keiner was zum Protest der Verzweifelten. Nur Joachim Herrmanns Sprecher wiederholt, was der CSU-Innenminister immer sagt: dass man bei den Essenspaketen bleibe und bei den Gemeinschaftsunterkünften, weil man ja keine Zuwanderungsanreize schaffen wolle.

Doch sie kommen trotz Abschreckung und wollen so schnell auch nicht weichen. Am Montag haben die "Non-Citizen" den Vorschlag der Polizei abgelehnt, an einem anderen Ort echte Zelte aufzuschlagen. Sie wollen im Herzen der Stadt bleiben. Noch trinken sie Wasser und Tee, von Dienstag an, so war der Plan, wollen sie auch darauf verzichten. Gut, dass es im Hintergrund Ärzte gibt, die sich ehrenamtlich um die Flüchtlinge kümmern. Denn sie meinen es ernst. Sie kämpfen um ihre Würde.

Bernd Kastner

Quelle: Süddeutsche Zeitung

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