Süddeutsche Zeitung, 30.06.2013

Im Namen des Staates

Hungerstreik-Camp in München geräumt

Rettungskräfte transportieren am Sonntagmorgen einen in Hungerstreik getretenen Asylbewerber ab.


Als die Polizei am Sonntagmorgen das Lager am Münchner Rindermarkt betritt, bietet sich den Beamten ein Bild des Schreckens. Mehrere der hungerstreikenden Flüchtlinge liegen im Koma auf dem kalten Boden, sie bewegen sich nicht mehr. Wie die Polizei später berichtete, ist einer kurz vor dem Herzstillstand. Er muss reanimiert werden. Die rettenden Notärzte kommen offenbar in letzter Minute.

Am Morgen hatte die Münchner Polizei beschlossen, das Camp zwischen 5 und 6.30 Uhr zu räumen. Der Schritt sei notwendig geworden, um den Ärzten Zugang zu den sich in Lebensgefahr befindlichen Flüchtlingen zu verschaffen, sagte Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) am Mittag bei einer Pressekonferenz. Glücklicherweise sei alles gut ausgegangen, keiner der Flüchtlinge sei gestorben.

Sitzblockaden der linksautonomen Szene

Die Räumung selbst war allerdings nicht ganz einfach, wie Polizeivizepräsident Robert Kopp berichtet. 150 bis 200 Unterstützer aus der linksautonomen Szene hätten sich vehement gegen die Räumaktion gewehrt. Mit Sitzblockaden wollten sie die Krankenwagen am Wegfahren hindern. "Auch gegen zehn der Hungerstreikenden musste Zwang angewendet werden", sagte Kopp. Doch schließlich konnten die 45 Flüchtlinge in 13 Krankenhäuser gebracht werden.

Seit Samstag vergangener Woche hatten die Asylsuchenden die Nahrungsaufnahme eingestellt, seit Dienstag auch das Trinken. Bereits während der Woche mussten einige Streikende reanimiert und behandelt werden, die Situation spitzte sich dramatisch zu. Laut Medizinern kann ein Mensch nur bis zu sieben Tage ohne Essen und Trinken durchhalten.

Für das Asylrecht ist nur der Bund zuständig

Ude und Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wurden nicht müde, den Einsatz mit teils heftigen Worten zu rechtfertigen. Den Sprecher der Gruppe, Ashkan Khorasani, bezeichnete Herrmann wiederholt als "Rädelsführer". Khorasani habe "volles Asylrecht für alle" gefordert. Doch nach deutschem Recht sei hierfür weder die Landesregierung noch die Stadtverwaltung zuständig, sondern allein der Bund.

"Es ging dem Sprecher nicht darum, die Zustände in den Asylbewerberheimen zu verbessern oder um die Essenspakete", sagte Herrmann. Es sei alleine um die sofortige Anerkennung des Asylrechts nach Artikel 16a gegangen. Zudem habe Khorasani den Ärzten mehrmals den Zugang zu den geschwächten Streikenden verweigert und somit das Leben der Flüchtlinge bewusst aufs Spiel gesetzt. Bei der Räumung des Camps wurde der Sprecher vorübergehend festgenommen.

"Leben bewusst aufs Spiel gesetzt"

Am Abend zuvor hatten noch der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel und der CSU-Politiker Alois Glück dem Lager einen Besuch abgestattet. Sie wollten vermitteln, doch sie konnten nichts erreichen. Gesprochen hat für die Flüchtlinge immer nur Khorasani, berichtet Ude. Ob dieser wirklich immer im Namen aller Betroffenen gesprochen und entschieden habe, zweifelten sowohl Ude als auch Herrmann an.

"Dieser Rechtsstaat lässt sich nicht erpressen", betonte Herrmann am Sonntag gebetsmühlenartig. Zudem hätten sich die Flüchtlinge asylrechtlich in ganz unterschiedlichem Status befunden. Anträge von zwölf Personen seien beispielsweise bereits abgelehnt worden, acht befänden sich im Asylfolgeverfahren und weitere acht Personen seien erst in den vergangenen sechs Wochen eingereist, der Letzte am 21. Mai. Vor allem bei den zuletzt Angekommenen sei ein Streik nicht gerechtfertigt, da im bevorstehenden Asylverfahren noch alle Lösungen denkbar seien.

"Nicht allen war bei dem Hungerstreik klar, wofür sie hier eingesetzt werden", sagte Herrmann. Sie hätten ihr Leben aufs Spiel gesetzt, ohne zu wissen, worum es eigentlich gehe. "Sie sind von Khorasani instrumentalisiert worden", so Herrmann. Dieser stammt aus dem Iran und hat vor einiger Zeit als politisch Verfolgter Bleiberecht in Deutschland erhalten. Seit etwa einem Jahr hätte er sich immer stärker politisch engagiert. So sei er auch bei einem anderen Flüchtlingsstreik in Unterfranken Versammlungsleiter gewesen. Vor Kurzem sei Khorasani nach Berlin gezogen und sei zuletzt an der Besetzung der nigerianischen Botschaft beteiligt gewesen.

"Angegriffen, geschlagen und getreten"

Heftiger Widerspruch gegen die Räumungsaktion kam von den bayerischen Grünen. Ihre Fraktionsvorsitzende Margarete Bause sagte: "Eine Lösung auf dem Verhandlungsweg wäre möglich gewesen."

Die Unterstützer des Hungerstreik-Camps werfen der Polizei ein brutales Vorgehen vor. Nach der Räumung des Lagers erklärte einer der Aktivisten, Houmer Hedayatzadeh, Hungerstreikende seien "angegriffen, geschlagen und getreten" worden. Asylbewerber seien im Polizeipräsidium gezwungen worden, sich nackt auszuziehen und hätten dort trotz Lebensgefahr keinerlei medizinische Versorgung erhalten. Polizeivizepräsident Kopp hält dagegen, erst die Polizei habe es Ärzten ermöglicht, die zum Teil extrem geschwächten Hungerstreikenden ins Krankenhaus zu bringen.

Spurensuche am Rindermarkt

Am Rindermarkt ist bereits am Sonntagmittag nichts mehr von dem Flüchtlingscamp zu sehen. Nur eine Kehrmaschine dreht ihre Runden und fegt die letzten Reste der Asylsuchenden weg. Einige Schaulustige stehen herum und diskutieren. Eine ältere Frau sagt zu einem der wachhabenden Polizisten: "Endlich sind die weg, aber jetzt müsst ihr aufpassen, dass sie nicht wieder kommen." Ein Mann in Trachtenmontur sagt: "Bei uns herrscht noch Recht und Ordnung. Gut, dass man die weggebracht hat. Das wäre ja noch schöner, wenn die sich hier ein Aufenthaltsrecht erpressen könnten."

Sozialreferentin Brigitte Meier berichtet, dass sich ein Teil der Betroffenen noch in der Klinik befinden, andere seien in Asylunterkünfte der Stadt gebracht worden. Eine vier- und eine dreiköpfige Familie mit schwangerer Mutter seien zwischenzeitlich in jeweils einem Appartement untergebracht worden. Kriseninterventionsteams der Stadt betreuen die Betroffenen. Sie sollen erst einmal stabil werden und zur Ruhe kommen. Dann werde man sehen, wie man weiter mit ihnen verfahre.

Und wenn sich nun erneut Flüchtlinge zu einem Streik zusammentun? "Dass wir einer Hunger- und Durststreikaktion noch einmal so lange zuschauen, halte ich für ausgeschlossen", sagte Herrmann.

Beate Wild

Quelle: Süddeutsche Zeitung

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