epd, 03.09.2009
"Ich habe immer nur nein gehört"
Menschenrechtspreis für 19-jährige staatenlose Kurdin Nissrin Ali
Die 19-jährige Kurdin Nissrin Ali lebt seit sechs Jahren als "geduldeter Flüchtling" in einer heruntergekommenen ehemaligen Kaserne in Bayreuths Wilhelm-Busch-Straße. Hier, im stadtbekannten Massenquartier für Asylbewerber, ist die kleine zierliche Frau mit dem zarten Gesicht innerhalb weniger Jahre zu einer national bekannten Vorkämpferin für die Rechte von Asylbewerbern geworden. Dabei kommt ihr die souveräne Beherrschung der deutschen Sprache zugute.
Für ihren beispielhaften Einsatz für die Menschenrechte Asylsuchender und gegen Diskriminierungen in Deutschland soll die junge staatlose Frau an diesem Samstag (5. September) in Frankfurt a.M. mit dem Menschenrechtspreis 2009 der Stiftung "Pro Asyl" geehrt werden. Die Laudatio auf die in Syrien geborene Muslimin hält die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ist. Zweiter Preisträger ist der Äthiopier Felleke Bahiru Kum (35), der in Nördlingen lebt und ebenfalls gegen die Lagerunterbringung und für die Rechte von Flüchtlingen kämpft.
Als Nissrin Ali mit ihren Eltern und fünf Geschwistern 2003 in Bayreuth ankam, dachte die damals 13-Jährige: "Bin ich hier in einem Heim oder in einem Gefängnis?" Über ihr weiteres Schicksal sagte sie in einem epd-Gespräch: "Ich habe von da an immer nur nein gehört." Egal, was sie habe anfangen wollen – immer habe es von Amts wegen geheißen: Das geht nicht. "Dieses ewige harte Nein hätte ohne meine Familie und ohne Hilfsorganisationen mein ganzes Leben zerstören können", sagt Nissrin Ali.
Weil ihr nach der Volksschule der Übertritt zur Berufsschule verwehrt blieb, wiederholte sie trotz guter Noten noch zwei Mal freiwillig die neunte Klasse. "Immer noch besser als zuhause herumzusitzen", so ihre damalige Überlegung. Der Erfüllung ihres Lebenswunsches ist sie in den vergangenen sechs Jahr keinen Schritt näher gekommen. Er lautet kurz: Ausbildung zur Köchin absolvieren, als Deutsche ein normales Leben führen, am liebsten in Bayreuth wohnen ("Eine schönere Stadt habe ich nicht gesehen") und endlich ein Heimatgefühl entwickeln. Seit ihrer Geburt habe sie noch nie Rechte besessen, merkt Nissrin Ali an.
Im Oktober vergangenen Jahres hat sie schließlich ihre Ängste überwunden und die Flucht in die Öffentlichkeit angetreten. Es begann mit einer Demonstration in Bayreuth. "Viele haben sich damals gewundert, dass wir kämpfen", sagt Nissrin Ali. Inzwischen ist sie zu einer leidenschaftlichen Vorkämpferin für ihre Schicksalsgemeinschaft geworden. Bei Aktionen in Hamburg, Bremen, Berlin, München, Potsdam und Nürnberg trat sie öffentlich für die Rechte von Flüchtlingen ein. Den stetigen Verweis auf die Gesetzeslage lässt sie nicht gelten: "Menschen haben Gesetze geschaffen – Menschen können Gesetze auch wieder ändern." Die jetzigen Bedingungen könnten Asylbewerber menschlich, psychisch und körperlich ruinieren.
Bei einer Expertenanhörung im Bayerischen Landtag zum "Asylbewerberleistungsgesetz" erhielt die 19-Jährige offenen Beifall und viele Sympathiebekundungen. Ermutigend ist für sie auch die Unterstützung von Hilfsorganisationen wie "Pro Asyl", die "Karawane" und "Jugendliche ohne Grenzen". Auch in Bayreuth freut sie sich über viele Zeichen der Solidarität mit Asylbewerbern. So leisteten Studenten der Universität Bayreuth ehrenamtlich Hausaufgabenhilfe für Flüchtlingskinder.
Bernd Mayer