Süddeutsche Zeitung, 06.02.2010

Hungerstreik light

Asylbewerber wollen Bewegungsfreiheit und Essen, das ihnen schmeckt - deswegen protestieren sie

Asylbewerber in Bayern bekommen in der Regel Essenspakete anstelle von Bargeld, um sich zu verpflegen. Die Flüchtlinge in Hauzenberg wie Tourek protestieren gegen die Bedingungen im Heim. Dafür hungern sie - ein bisschen. Foto: Gerleigner

Irgendwo hier müssen diese Menschen sein, schwach in ihren Betten liegen, apathisch vielleicht. Doch dann steht ein junger Mann im Gang, er grüßt freundlich, er wirkt gut gelaunt. Er sagt, er sei im Hungerstreik. Ein paar Meter weiter, im Wohnzimmer, spricht ein anderer junger Mann in eine Kamera des Bayerischen Rundfunks. Es ist nicht das einzige Filmteam, das nach Hauzenberg gekommen ist, um über den Hungerstreik zu berichten, dem sich auch acht Männer in dem Heim im nahen Breitenberg angeschlossen haben.

"Wir essen erst wieder, wenn unsere drei Forderungen erfüllt sind", lässt der 25 Jahre alte Palästinenser Ahmad einen Übersetzer sagen, als er nach den Gründen für die Protestaktion gefragt wird. Dann zählt er die Forderungen auf: Die Flüchtlinge wollen schneller Arbeit bekommen. Wenn sie nach einem Jahr Aufenthalt eine Arbeitserlaubnis haben, warten sie oft noch lange auf eine Stelle, weil sich die Arbeitsämter sechs Wochen lang nach deutschen Bewerbern umsehen müssen. Die Asylbewerber wollen sich innerhalb Bayerns frei bewegen dürfen, anstatt an die Landkreise gebunden zu sein, wie es das Asylgesetz vorschreibt. Residenzpflicht heißt das im Amtsdeutsch. Wollen sie den Landkreis Passau verlassen, um Freunde zu besuchen, müssen sie zehn Euro Gebühr zahlen - und sie haben nur 40 Euro im Monat. Und drittens wollen sie sich ihr Essen selbst kaufen, anstatt täglich Lunchpakete zu bekommen. Deshalb: Hungerstreik.

Sajad, ein 28-jähriger Afghane, sitzt auf einem Bett in dem kleinen, tristen Zimmer. Seine Mutter habe ihn nach Deutschland geschickt, nachdem sein Bruder von den Taliban ermordet wurde. "Ich habe noch gar nichts abgenommen", sagt er. Vielleicht liege das daran, dass er auch im Fastenmonat Ramadan immer faste. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er Obst isst. Viele andere nehmen Traubenzucker zu sich. Das geben sie offen zu.

Heimleiterin Marietta Wurm ist eine freundliche, warmherzige Frau um die 60, sie hat zu vielen der jungen Asylbewerber ein Verhältnis wie eine Mutter zu ihren Kindern. Sie umarmt sie, zwickt sie auch mal liebevoll in die Wange. Sie mache sich bis jetzt keine Sorgen um die Männer im Hungerstreik, sagt sie. "Ich habe ja auch gesehen, wie sie volle Einkaufstüten reingeschleppt haben", sagt Marietta Wurm und schmunzelt. Ein Stockwerk höher kommt der Kongolese Belmond aus der Dusche, er sagt, er sei seit acht Tagen im Hungerstreik. Er setzt sich zu seinen afrikanischen Freunden, die auf einen lautlosen Fernseher schauen. Belmond war gerade im Fitnessstudio. Am Samstag steht ein Fußballspiel mit dem FC Sturm Hauzenberg an. Nach Entkräftung klingt das nicht. Er nimmt eine große Packung Traubenzucker in die Hand, und er begutachtet eine Tüte Suppe, die er sich am Abend zubereiten will. Am nächsten Tag werden wieder Medien über einen Hungerstreik berichten, der nun schon zehn Tage läuft. Auch Belmond zählt die drei Forderungen auf, die erfüllt werden müssen, bevor er wieder etwas isst.

Diese Forderungen stehen fast wortgleich auf der Homepage der Karawane, einer Münchner Initiative, die sich für die Rechte der Flüchtlinge einsetzt. "Wir unterstützen die Aktion", sagt ihr Sprecher Bernd Kasparek, "aber unsere Idee war das nicht." Sie seien nur Berater. Tourek von der Elfenbeinküste, mit 47 Jahren der Älteste im Heim, erzählt in gebrochenem Deutsch von dieser Beratung. Die Worte "Zeitung" und "Fernsehen" kommen vor, und die Orte "München" und "Berlin", Orte, an denen über Hauzenberg sonst nicht berichtet wird. Auch Ahmad aus Palästina und Sajad aus Afghanistan sagen, dass der Hungerstreik ihre einzige Möglichkeit sei, in die Presse zu kommen.

Am Mittwoch kam Niederbayerns Regierungspräsident Heinz Grunwald in das Flüchtlingsheim, um sich ein Bild des Streiks zu machen. "Ich habe das Gefühl, dass die Idee nicht allein von den Bewohnern ausgeht", sagt er. "Wir nehmen das trotzdem sehr ernst." Und fügt hinzu: "Theaterdonner gehört bei solchen Aktionen nun mal dazu." Er hat den Flüchtlingen versprochen, dass er mit den niederbayerischen Landräten über die Gebühren sprechen wird, die die Asylbewerber zahlen müssen, wenn sie den Landkreis verlassen. "Und ich werde bei der Passauer Arbeitsagentur nachfragen, ob die Anträge nicht schneller bearbeitet werden können." Alles andere sei Länder- und Bundesangelegenheit. Doch um dort Gehör zu finden, müsste wohl in mehr als nur zwei Heimen gestreikt werden.

Am Freitagmorgen berichtet der Bayerische Flüchtlingsrat, dass sich der Hungerstreik auf Nördlingen ausgeweitet habe. 20 Flüchtlinge hätten aufgehört zu essen. Am Nachmittag zog er die Meldung wieder zurück. Sie sei voreilig gewesen.

Dominik Petzold

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