Antenne Bayern, 26.11.2010
Hungerstreik als verzweifelter Hilferuf
Immer mehr Flüchtlinge treten in den Hungerstreik
Augsburg (kw). Seit Tagen sind Flüchtlinge im
oberbayerischen Denkendorf und nun auch in Augsburg im Hungerstreik.
Was
in Denkendorf mit 25 Menschen begann, hat sich in Augsburg zu einer
Massenbewegung ausgeweitet. Zwischen 200 und 250 Menschen in einer
großen Gemeinschaftsunterkunft wollen keine Essenspakete mehr annehmen.
Noch ist es unklar, ob bei dieser Form der
Essensverweigerung schon von einem richtigen Hungerstreik gesprochen
werden kann. Doch die Aktion sorgt gleichwohl bereits für eine Menge
Aufsehen.
Der Essensboykott richtet sich zwar vordergründig gegen
diese Essenspakete, die den Flüchtlingen zu einseitig sind. Sie fordern
stattdessen Bargeld, um sich nach ihren Gewohnheiten zu ernähren und
Lebensmittel kaufen zu können. Doch hinter dem Boykott steckt weit mehr,
erklärt Stefan Klingbeil vom bayerischen Flüchtlingsrat.
„Die
Menschen in den Flüchtlingslagern wollen auf eine ganze Reihe von
Missständen aufmerksam machen, unter anderem die nach wie vor
praktizierte Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, obwohl der Landtag
längst beschlossen hat, die Bestimmungen zu lockern." Früher durften
Asylbewerber sich nur im jeweiligen Landkreis bewegen und nicht mal
andere Flüchtlinge im Nachbarlandkreis besuchen. Doch im Juni hat der
Landtag die sogenannte Residenzpflicht gelockert. Zudem seien die Lager
und Lebensbedingungen oft menschenunwürdig, so der Flüchtlingssprecher.
Bei
der Regierung von Schwaben heißt es, man habe bezüglich der
Essenspakete keinen Spielraum. Das bundesweit gültige Asylrecht sehe nun
mal das Sachleistungsprinzip vor. Mit dem Sachleistungsprinzip soll
einer möglicherweise falschen Verwendung des Lebensmittelgeldes für
Alkohol, Zigaretten oder andere Dinge vorgebeugt werden. Sprecher
Karl-Heinz Meyer merkt an, dass die betroffenen Personen aus einer
langen Liste von Lebensmitteln individuell ihre Lebensmittel aussuchen
könnten und niemand gezwungen werde, etwas zu essen, das nicht seinen
Gewohnheiten entspricht. Also beispielsweise werde keinem Moslem
Schweinefleisch aufgezwungen. Es gebe sogar spezielle Lebensmittelpakete
für Kinder.
Doch die hungerstreikenden Flüchtlinge sagen, zum
einen werde diese Auswahl extrem eng, wenn man sich längere Zeit in
einem Lager in Deutschland aufhält. Zum anderen gehe es um mehr, nämlich
um die Kritik an den zum Teil „menschenunwürdigen Lebensbedingungen in
den Lagern", wie eine Sprecherin der Augsburger Flüchtlingshilfe
formuliert. Insgesamt sind nach Angaben der Bezirksregierung in Augsburg
derzeit 837 Flüchtlinge in fünf verschiedenen Unterkünften
untergebracht, hinzu kommen noch einmal 52 Menschen im nahen
Schwabmünchen. Auch sie könnten sich dem Hungerstreik demnächst
anschließen, heißt es beim Flüchtlingsrat.
Im bayerischen
Sozialministerium will man sich gar nicht äußern und verweist ans
Innenministerium, was den Vollzug der gelockerten Bewegungsfreiheit
angeht. Und was den Hungerstreik betrifft, da benennt ein Sprecher die
schwäbische Bezirksregierung als Ansprechpartner.
Eine klare
Aussage zur gelockerten Residenzpflicht kommt aus dem Innenministerium.
Ein Sprecher dort sagt, unmittelbar nach dem Landtagsbeschluss vom Juni
sei eine Vorgriffsregelung erlassen worden, dass nämlich Flüchtlinge den
Landkreis künftig vorübergehend verlassen dürfen. Die Bewegungsfreiheit
sei auf den Regierungsbezirk ausgeweitet worden. Sollte eine
Gemeinschaftsunterkunft an der Grenze eines Bezirks liegen, dann dürften
die Asylbewerber und anderen Flüchtlinge sogar den
Nachbar-Regierungsbezirk aufsuchen.
Die Kritik des „Bayerischen
Flüchtlingsrates" weist Ministeriumssprecher Holger Plank zurück. „Am
1.12. tritt die Verordnung über das vorübergehende Verlassen es
Aufenthaltbereichs in Kraft", erklärt er. Man habe sogar für die
Übergangszeit eine Vorgriffsregelung verfügt, sprich den Wunsch des
Landtags nach mehr Bewegungsfreiheit unverzüglich umgesetzt.
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