Passauer Neue Presse, 09.02.2010

Hungern nach Aufmerksamkeit

In zwei ehemaligen Mietswohnhäusern in Zentrumsnähe mit Blick auf den Staffelberg sind in Hauzenberg 64 Asylbewerber untergebracht. Acht von ihnen kämpfen mit einem Hungerstreik für mehr Rechte und Freiheiten.

Immer nur essen, fernsehen und schlafen, das halte keiner aus, klagt Kabamba B. (32). Der Kongolese gehört zu den Asylbewerbern, die derzeit mit einem Hungerstreik auf ihre aus ihrer Sicht menschenunwürdige Lage aufmerksam machen. Es geht ihnen um drei wesentliche Anliegen. Sie wollen Arbeit, wollen sich in Bayern frei bewegen dürfen und wünschen sich Bargeld statt der bisherigen Lebensmittel-Pakete, damit sie sich ihr Essen selbst kaufen können. Um Druck zu erzeugen, verweigert er mit 15 (von 106) Schicksalsgenossen in den Unterkünften Hauzenberg und Breitenberg (Landkreis Passau) seit zwei Wochen die Nahrung.

Das Wort Hungerstreik garantiert in der deutschen Öffentlichkeit spätestens nach dem Stammheim-Drama um die RAF großes Medienecho. Das wissen auch die Berater der Asylsuchenden in München, die den Streikenden beim Kampf für ihre Anliegen helfen und mit entsprechenden Pressemitteilungen eine Kampagne befeuern, die jetzt allerdings außer Kontrolle zu geraten droht. So hat sich ein 23-jähriger Palästinenser in der Nacht zum Samstag in Hauzenberg mit dem Messer verletzt, was sich als Selbstmordversuch deuten lässt. Nach einer ambulanten Behandlung wird er jetzt im Bezirkskrankenhaus betreut.

„Man behandelt uns wie Babys“

Wer etwas erreichen will, braucht die Öffentlichkeit. So hatte Anfang letzter Woche die „Karawane München“ als Organisation „für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten“ das Medien-Karussell in Gang gesetzt. Per Pressemitteilung hatte sie den Streik und die Forderungen bekannt gemacht, schoss damit aber über das Ziel hinaus. Von „Mangelverpflegung“ und „unerträglichen Lebensbedingungen“ in den Unterkünften in Breitenberg und Hauzenberg war dabei zu lesen. So berichten viele Besucher, dass die Notunterkünfte in früheren Mietswohnhäusern in den beiden Orten zwar keine Luxus-Hotels sind, im Standard aber weit über den Unterbringungen in anderen Orte liegen. Zum Begriff „Mangelernährung“: Die Asylbewerber können auf Bestelllisten zweimal in der Woche aus einem langen Katalog Speisen, Beilagen und Salate auswählen, welche dann zentral geliefert werden.

Allerdings: Hier bitten die Asylbewerber um Bargeld statt der Paketlieferungen. So erinnert Kabamba B. an die Praxis in anderen Bundesländern. Dort bekommen die Asylbewerber Geld, um die 250 Euro pro Monat, um sich Lebensmittel zu besorgen. „Ich würde einfach gern selber in den Shop gehen, um mir meine Sachen zu kaufen“, sagt er. „Man behandelt uns wie Babys“, ergänzt der Palästinenser Awad G. Zu Freiheit und Demokratie gehöre auch, sein Essen im Supermarkt selber besorgen zu können.

Kabamba B. formuliert das zweite große Anliegen der Streikenden: „Wir wollen arbeiten.“ Nach dem derzeitigen Verfahren sei es zu kompliziert, eine Arbeit zu bekommen. Sie wollten nicht zur Last fallen, sondern eigenes Geld verdienen. In anderen Bundesländern gäbe es für seine Landsleute Möglichkeiten zur Arbeit.

Ahmad M. (23) geht auf den dritten Punkt ein. „Wir wollen das Recht, in ganz Bayern zu reisen“, sagt er. So wie Asylsuchende in anderen Bundesländern auch. Viele Hauzenberger würden gern öfter nach München fahren, laut Ahmad fast eine Unmöglichkeit. Er rechnet vor: Um eine Genehmigung für eine Fahrt nach München zu bekommen, muss er zehn Euro beim Landratsamt zahlen. Er bekommt aber nur 40 Euro Taschengeld im Monat. Mit den restlichen 30 Euro sollte er Bus, Zug und Verpflegung für die Fahrt zahlen. „Für eine Cola am Bahnhof reicht es nicht mehr.“ Ein Ziel hat der Hungerstreik erreicht: Er hat für Aufsehen gesorgt. Es waren mittlerweile Politiker und Vertreter der Regierung vor Ort - natürlich in Medienbegleitung. Recht viel mehr als warme Worte gab es aber bisher nicht. Denn: Zuständig für alle Streitfragen in Sachen Essen, Reisefreiheit und Arbeit sind die Gesetzgeber von Land und Bund. Die Vertreter von Landratsamt und Regierung bekommen zwar Resolutionen in die Hand gedrückt, etwas ändern können aber nur die Zuständigen in München und Berlin.

Zuständige sitzen in München und Berlin

Wer sich für die Aufmerksamkeit in den Schlund der Medien begibt, kann darin umkommen. Das erfuhren die Streikenden am Wochenende. Ein Reporter aus München hatte die Unterkunft in Hauzenberg besucht, offenbar in Erwartung von ausgemergelten Gestalten. Stattdessen traf er auf einen nach eigener Aussage „Streikenden“, der gerade aus dem Fitness-Studio gekommen war. Ein anderer verriet, dass er zwar die Essenspakete zurückweist, sich aber mit Traubenzucker und Obst versorgt. Zu lesen war dann in einer Zeitung am Samstag ein Bericht von einem „Hungerstreik light“ sowie ein mahnender Kommentar, den Begriff Hungerstreik nicht zu missbrauchen. Der Bericht hat die Streikenden verbittert. „Wir meinen es ernst“, bekräftigte gestern Kabamba B., sichtlich geschwächt. Er will mit dem Hungern weitermachen, um Druck für seine Anliegen zu erzeugen. „Sonst hört uns keiner zu.“
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat derweil gestern die Hungerstreiks von Asylbewerbern verurteilt. „Ich halte die Forderungen für insgesamt überzogen“, sagte er gegenüber der Passauer Neuen Presse. „Nachdem nach wie vor die Mehrzahl der Asylbewerber vom zuständigen Bundesamt nicht anerkannt wird, geht die Forderung nach freier Reise durch Bayern und Geld statt Essenspaketen viel zu weit.“

Von Martin Riedlaicher

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