Schwäbisches Tagblatt, 10.07.2012

Hungern für das Bleiberecht

Iraner setzen auf Schock und Verständnis im Kampf um die Anerkennung als Flüchtlinge


Der Polizeiwagen steht immer da, Tag und Nacht, nur 20 Meter von dem kleinen Zelt in der Würzburger Innenstadt entfernt. Ab und zu kommt ein Beamter vorbei und fragt, ob alles in Ordnung ist. In Ordnung? Für Mohammad Kalali klingt die ernst gemeinte Frage wie Hohn. "Ich warte schon so lange auf das Papier, das über mein Leben entscheidet", sagt der 33-jährige iranische Asylbewerber in gebrochenem Deutsch. "Wir wollen eine Antwort, aber sie kommt nicht."

Werden die Männer in Deutschland anerkannt - oder müssen sie zurück in ihre Heimat? Weil sich die Asylverfahren über Monate und Jahre hinziehen und weil sie mit ihrer Behandlung in Bayern nicht einverstanden sind, haben sich iranische Flüchtlinge schon Mitte März dieses Jahres zu einer sehr unüblichen Form des Protestes entschlossen: Sie campieren in Würzburg auf zentralen Plätzen, mittlerweile seit 112 Tagen. Doch nicht nur das. Es folgten Hungerstreik, Trinkstreik, sie haben sich die Münder zugenäht. Die Aktionen der Iraner im Freistaat sind auch eine Geschichte von wachsender Verzweiflung, von Radikalisierung und Eskalation.

Anfang Juni hatten sich vier junge Männer entschieden, ihre Münder zuzunähen. Dünne Fäden durch Ober- und Unterlippe ließen gerademal Platz für einen Strohhalm, um etwas zu trinken. Erst Ende vergangener Woche wurde dieser drastische Protest beendet.

Einigen von ihnen wurde gesagt, dass sie in den nächsten Tagen mit Entscheidungen über ihre Asylanträge rechnen können. Die Nähnadel-Aktion aber stieß auch bei jenen auf Kritik, die es mit den Männern gut meinen. "Ich habe das komplett abgelehnt", erzählt Matthias Grünwald, ein Grüner aus Würzburg, der sich für Flüchtlinge einsetzt. Erst am Tag nach der Lippenöffnung besuchte er sie wieder am Zelt, das auf dem Marktplatz ein wenig abseits steht, direkt vor der weiß-roten Marienkapelle.

Grünwald und alle anderen machen sich weiter vor allem um Mohammad Kalali große Sorgen. Er erhielt immer noch keine Mitteilung, dass eine Entscheidung bald ansteht. Insgesamt hat er 60 Tage gehungert und mehrere Tage nichts getrunken. Der 1,78 Meter große Mann hat 13 Kilogramm abgenommen, jetzt wiegt er noch 55. Matthias Grünwald hebt Kalali leicht an: "Du wiegst gar nichts mehr, du musst wieder etwas essen." Kalali lächelt ein wenig. Er stammt aus dem islamisch-konservativen Maschhad, der zweitgrößten Stadt des Irans. "Ich habe gegen den Islamismus gekämpft", sagt er. Müsste er wieder zurück, wäre sein Leben besiegelt, da ist er sich sicher.

Ein Dutzend Menschen sind tagsüber meist am Zelt in dem drei alte Metallbetten mit durchgelegenen Matratzen stehen. Auf einem Plakat schreiben sie: "Iran ist ein großes Gefängnis geworden!" Sie wenden sich gegen "Abschiebung, Lagerinternierung, Arbeitsverbot, Residenzpflicht". Letztere verbietet ihnen das Reisen in Deutschland oder im Freistaat. Meist erhalten sie nur Essenspakete und 40 Euro Taschengeld im Monat. "Bayern ist ein Sonderfall", sagt Alexander Thal von der Hilfsorganisation Bayerischer Flüchtlingsrat. Es gebe hier "die flächendeckendste und rigideste Lagerunterbringung" in ganz Deutschland. "Verzweifelte Menschen werde de facto eingesperrt", kritisiert er. Erst Ende Januar hat sich ein Asylbewerber aus dem Iran in der Würzburger Unterkunft das Leben genommen. Mohammed Rahsepar war 29 Jahre alt und einst Polizist im Iran.

Armin Jahanizadeh (24) wollte im Iran zum Christentum konvertieren. Er ist geflohen, weil ihm der Tod droht. Nach einem halben Jahr in Abschiebehaft ist er 17 Tage lang in den Hungerstreik getreten. Letzte Woche hat er aufgehört, weil ihm die Klärung seines Falles versprochen wurde. "Zwei Cheeseburger und Süßigkeiten" hat er am ersten Tag danach gegessen.

Jeder hat hier seine eigene Geschichte. Mehdi Sajadi etwa, auch 24 Jahre alt, war Internet-Blogger im Teheran. Er wandte sich öffentlich gegen die weit verbreiteten Steinigungen durch das Ayatollah-Regime. Er bekam eine Warnung, dass ihm die Geheimpolizei auf der Spur sei. Als er nach Hause kam, war seine Wohnung durchsucht und verwüstet. "Da wusste ich, dass ich sofort weg muss."

Es dauert eine Weile, bis die schüchternen Männer zumindest andeuten können, was ihre Seelen krank macht, welche unmenschlichen Bilder sich in ihrem Kopf eingebrannt haben. So werden Schwule im Iran zu den Klippen getrieben und hinuntergestoßen, Lesben bis zum Hals eingegraben und gesteinigt. Andere erhängt man an hohen Galgen. Die Leichname bleiben tagelang hängen.

Doch Hungerstreik, zugenähte Lippen in Deutschland - das klingt auch nach Erpressung. Es geht um provozierende Selbstverstümmelung und Schockwirkung.

Doch die bayerische Staatsregierung bleibt bei ihrer Haltung, dass Asylbewerber grundsätzlich in den oft weit abgelegenen Sammelunterkünften leben müssen. Das Bundesamt für Migration, das über das Bleiberecht entscheidet, erklärt, dass es sich nicht unter Druck setzen lasse. Hinter vorgehaltener Hand sagt aber ein Landespolitiker: "Wenn jetzt die Anerkennungen für die Iraner purzeln, dann nur, um die Leute von der Straße zu bekommen." Denn ihre Aktion macht Schule: In Bamberg und im kleinen unterfränkischen Ort Aub sind weitere Iraner-Camps entstanden.

PATRICK GUYTON

Quelle: Schwäbisches Tagblatt

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