Süddeutsche Zeitung, 09.02.2010

Hilfeschrei oder ferngesteuerte Aktion?

Hungerstreik von 19 Flüchtlingen in niederbayerischen Asylbewerberlagern löst politische Debatte aus

Der Hungerstreik von 19 Flüchtlingen in den niederbayerischen Asylbewerberheimen Hauzenberg und Breitenberg belastet schon jetzt die in Kürze anstehende Landtagsdebatte um eine Neuregelung der Asylpolitik im Freistaat. Die Heimbewohner wollen mit ihrer Aktion gegen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und die erschwerten Arbeitsgenehmigungen protestieren. Außerdem fordern sie Bargeld statt Essenspakete. Am Freitagabend hatte zudem einer der Hungerstreikenden versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Der 23-jährige Israeli palästinensischer Abstammung wurde ambulant versorgt und ist derzeit im Bezirkskrankenhaus Mainkofen untergebracht.

Nun ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob es sich bei der Tat um einen individuellen Hilfeschrei gehandelt habe,oder ob die Aktion vor der anstehenden Asyldebatte nur größeren Druck erzeugen sollte. Der Bayerische Flüchtlingsrat und die Initiative „Karawane" beklagen seit langem die rigide Flüchtlingspolitik der Landesregierung. Und die beiden Organisationen sind auch Sprachrohr der niederbayerischen Asylbewerber. Sind also der Hungerstreik und die Folgen ein von den Flüchtlingshelfern bewusst gesteuertes Vorhaben?

Der Flüchtlingsrat und die „Karawane" bestreiten dies vehement. „Der Streik hat alle unterstützenden Gruppen überrascht", sagt Flüchtlingsrat-Mitarbeiter Stephan Klingbeil. „Das ist weder auf unserem Mist gewachsen, noch haben wir die Menschen dahin gehend beraten" , betonte er. Man habe erst einige Tage nach Beginn des Hungerstreiks davon erfahren. Natürlich unterstütze man die Forderungen der Asylbewerber, aber innerhalb der Organisation sei die Meinung geteilt, ob die Aktion just in diesen Wochen taktisch klug sei. Und auch Hans-Georg Eberl von der Initiative „Karawane" wehrt sich gegen den Vorwurf, die Flüchtlinge würden politisch instrumentalisiert. „Das ist keine PR-Aktion von uns", sagt Eberl.

Politiker und Regierungsvertreter tun sich noch schwer, die Aktion einzuordnen. „Wir bewerten als Bezirksregierung das Ganze nicht, aber ich habe den Eindruck, dass das nicht von den Menschen im Heim alleine gesteuert wird", betonte am Montag Heinz Grunwald, der Regierungspräsident von Niederbayern. Auch Eike Hallitzky, Grünen-Landtagsabgeordneter aus Passau, bezweifelt, dass die Asylbewerber von sich aus in den Hungerstreik getreten sind. Aber er betont, dass die Grünen unabhängig vom Anlass die Anliegen der Flüchtlinge unterstützten. Vor allem die Sammelunterkunft im ländlichen Raum sei schwer zu ertragen,sie sei teuer, unmenschlich und erschwere die Akzeptanz in der Bevölkerung. „Das am schlechtesten ausgestattete niederbayerische Asylbewerberheim ist das in Landshut", sagt Hallitzky. „Aber es ist am beliebtesten, weil es nahe der Innenstadt liegt."

Brigitte Meyer (FDP), die Vorsitzende des Sozialausschusses im Landtag, kann „durchaus nachvollziehen", dass Flüchtlinge zu solchen Aktionsformen greifen. Als ehemalige Bürgermeisterin habe sie in der Vergangenheit solche Situationen schon kennengelernt. Für die Asyldebatte im Landtag erwartet sie harte Kontroversen. „Wir wollen Lockerungen bei der Residenzpflicht und den Gemeinschaftsunterkünften sowie eine Evaluierung der Sachleistungen", sagte Meyer. „Da sind wir im Moment noch weit auseinander in der Koalition." Trotzdem soll der Gesetzentwurf schon im März im Landtag beraten werden.

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