Abendzeitung, 06.11.2009

"Hier hilft nur beten"

Fast 8000 Flüchtlinge leben in Bayern in erbärmlichen Camps. Nun soll ein neues Gesetz ihnen ein besseres Leben ermöglichen - und statt Sammelunterkünften eine eigene Wohnung.

In fünf Holzbaracken leben am Ortsausgang von Dachau mehr als 150 Flüchtlinge. Foto: Reinhard Keck

Nachts bewegen sich die kahlen Holzwände. Sie rücken näher zu dem schmalen Bett heran, auf dem sich Dedi Ombal wälzt. Das kleine Zimmer in der Holzbaracke, es wird kleiner, enger, schrumpft zusammen – auf die Größe eines Sargs. Erst kommt die Panik, dann die Angst, irgendwann das Erwachen. Wenn ihn derartige Albträume quälen, faltet Dedi Ombal die Hände und schaut auf das Bild der Maria mit dem Jesus-Kind. Er sagt: „Hier hilft nur beten, jeden Tag, sonst wird man im Lager verrückt.“

Dedi Ombal lebt seit sieben Jahren in einem Flüchtlingslager am Ortsausgang von Dachau. Sein Zuhause ist eine Acht-Quadratmeter-Kammer. Seit fünf Jahren teilt sich der 46-jährige Kongolese sein Zimmer mit einem anderen Afrikaner. Weil er der Ältere ist, darf Ombal im Bett schlafen. So viel Menschlichkeit herrscht dann doch im Lager.

Flüchtlinge kamen und gingen - nur Ombal blieb

Insgesamt 156 Asylsuchende aus Ländern wie Irak, Tschetschenien oder Senegal leben in dem Camp nördlich von München. In sieben Jahren hat Ombal viele Flüchtlinge kommen und gehen sehen – doch es war immer er, der bleiben musste.

Zuletzt hat er im Juli mit seinem Anwalt telefoniert. „Keine Neuigkeiten“, sagte der und meinte: Nichts Neues in Sachen Aufenthaltsgenehmigung. Doch nur mit der kann sich Ombal einen Job suchen. Nur mit einem Job kann er Geld verdienen. Und nur mit einem Lohn kann er endlich raus aus dem Lager in eine kleine Wohnung, irgendwo, Hauptsache raus aus der Baracke. Mehr will er nicht. „Die Enge, der Lärm – das macht einen krank“, sagt Ombal.

Lagerkoller und psychische Traumata – das gehört genauso zu Bayerns 118 Flüchtlingscamps wie die wöchentlichen Essenspakete, die verschimmelten Gemeinschaftsduschen und die Ratten und Mäuse in den Küchen. Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat sagt, die Lager machten aus Menschen „psychische Wracks“. Eine These, die sich auf die Erkenntnisse des Würzburger Mediziners August Stich stützt. Viele Flüchtlinge seien durch Krieg und Gewalt in ihren Herkunftsländern schwer traumatisiert, erklärte der im April vor dem Landtag. Die Lager machten alles noch viel schlimmer. „Bestehende psychische Erkrankungen werden verstärkt“, so der Arzt.

Die SPD will ein Ende der bayerischen Lagerpflicht

Noch sind in Bayern derlei Seelenwunden quasi die Nebenwirkungen eines Gesetzes von 2002, das eine strikte Lagerpflicht für alle Flüchtlinge vorsieht. Eine Regelung, die bei SPD, Grünen und Freien Wählern schon lange für Unbehagen sorgt. Nun fordert die SPD in einem Gesetzentwurf die generelle Abschaffung der Lagerpflicht. Stattdessen sollen Flüchtlinge künftig in Privatwohnungen unterkommen. Eine Idee, die – so rechnet der Flüchtlingsrat vor – nicht nur weitaus humaner, sondern auch schonend für die Staatskasse sei.

Tatsächlich würde dieses neue Gesetz einen Flüchtling mit den ärmsten Menschen im Land gleichstellen. Denn die Mietkosten sollten wie bei Hartz IV-Empfängern geregelt sein. Aktuell kostet ein Platz im Sammellager pro Person 683 Euro, schätzt der Flüchtlingsrat – ähnlich viel kostet auch ein Platz in einem Münchner Obdachlosenheim. Die Mietobergrenze bei Hartz IV-Empfängern ist günstiger, sie wird in München auf eine Kaltmiete von 449 Euro beziffert. Inklusive der Nebenkosten komme man auf eine Ersparnis von 113 Euro bei einer Person, rechnet der Flüchtlingsrat. Bei einer Familie mit sechs Personen könnten bis zu 2898 Euro gespart werden. Bei 7636 in Lagern untergebrachten Flüchtlingen in ganz Bayern komme man so auf Entlastungen für den Haushalt von rund 16 Millionen Euro.

Wohnungen für Flüchtlinge wären humaner - und womöglich billiger

Auf Basis dieser Rechnung könnte auch die Unterbringung von Kahlil Lazar Schaba und seiner Familie weit günstiger sein. Kahlil wohnt seit einem Jahr mit seiner Frau Danka, den Kinder Lorenzo und Larizia und dem in Dachau geborenen sechs Monate alte Baby Rosa im Lager. Doch womöglich sind sie schon früher wieder weg als viele andere Flüchtlinge. Sie sind christliche Iraker, sie bekommen in der Regel schneller eine Aufenthaltsgenehmigung als Mitglieder anderer Konfessionen. „Wir hoffen, bald eine Wohnung zu bekommen. Wir wollen nicht, dass unser Baby im Lager aufwächst“, sagt Mutter Danka und wiegt Rosa liebevoll im Arm.

Wärme und Geborgenheit kommen außerhalb der Arme von Mutter Danka im Lager selten vor – zumindest wenn man Mammy Jatta reden hört. Die 28-jährige Senegalesin lebt seit einem Jahr in Dachau und kann es kaum noch ertragen. „Der Lärm ist nachts unerträglich, jede Nacht habe ich Kopfschmerzen“, klagt die junge Frau, während draußen vor ihrer mehrfach gesicherten Tür lautstark Kinder herumtoben. Immerhin: Ihre Chancen, das Lager hinter sich zu lassen, stehen so schlecht nicht. Ihr Aufenthalt wurde geduldet, nun kann sie sich eine Arbeit suchen. Doch das wird schwer, denn Jatta wird nur einen Job bekommen, auf den sich weder ein deutscher Staatsbürger noch ein EU-Bürger beworben haben.

Ein Urteil im Asylverfahren, ein Job, die Aussicht auf ein Ende des Lagerlebens – das alles ist hingegen für Dedi Ombal so weit weg wie seine Frau und die drei Kinder im Ostkongo, von denen er kaum etwas gehört hat. Dass ihn vielleicht im nächsten Jahr ein neues Gesetz aus dem Lager holen könnte – das will er nicht recht glauben. Er will sich lieber auf Gott verlassen und sagt: „Ich muss einfach dafür beten, wie jeden Tag, seit sieben Jahren.“

Reinhard Keck

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