Abendzeitung, 18.07.2012

Heute haben die Richter das Wort

Verfassungsgericht entscheidet: Zu wenig Geld für Flüchtlinge in Deutschland?

 

Krieg, Verfolgung, Not – es gibt viele Gründe, weshalb Menschen ihr Heimatland verlassen. Doch wer nach einer oftmals traumatisierenden Flucht in Deutschland landet, findet alles andere als das Paradies. 45 741 Menschen beantragten im letzten Jahr in Deutschland Asyl, die meisten stammen aus Afghanistan und Irak. 7020 Flüchtlinge landeten 2011 in Bayern. Wie viel Geld die 130 000 Flüchtlinge im Monat künftig bekommen sollen, darüber urteilt heute das Bundesverfassungsgericht.

Derzeit erhalten Sie 60 Prozent der Hartz-IV-Sätze, das sind 220 Euro imMonat – davon etwa 40 Euro in bar als Taschengeld. Die Sätze sind seit 1993  unverändert. Ob das Bundesverfassungsgericht die Differenzen zum Sozialhilfesatz durchgehen lässt, ist fraglich: Bereits im Juni hatte der stellvertretende Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhoff, die „ins Auge stechenden Differenzen“ zwischen den beiden Leistungen kritisiert. Flüchtlingsvertreter kritisieren, dass die niedrigen Regelsätze Asylbewerber vom sozialen Leben ausschließen. Eine Fahrt in die Stadt, zu Freunden oder Beratungsangeboten – unmöglich für Menschen, die sich kaum eine Fahrkarte leisten können. Dazu kommt, dass die Asylbewerber in Bayern über wenig Geld auch wirklich selbst verfügen können. Denn bis auf das Taschengeld werden die Hilfen vor allem in Sachleistungen ausgegeben – und das wird in Bayern besonders eng gesehen.

Anders als in anderen Bundesländern, die auf ein Gutscheinsystem setzen, haben im Freistaat immer noch Lebensmittelpakete Vorrang. Das heißt, das Flüchtlinge sich zwei Wochen im voraus Lebensmittel aus einer Liste aussuchen dürfen, die laut Sozialministerium einer „gesunden und ausgewogenen Ernährung“ entsprechen.
Flüchtlingsvertreter monieren allerdings, dass in der Praxis die Qualität der Produkte oft zu wünschen übrig lasse. Dass Bayern weiterhin auf Pakete statt auf Eigenversorgung setzt, liegt auch daran, dass im Freistaat rund 80 Prozent der Asylbewerber in Lagern und nicht dezentral in kleineren Einrichtungen leben. Nur dort macht es überhaupt Sinn, Essenspakete zu verteilen. Wo dezentral gewohnt wird, steigt die Verwaltung eher auf andere Möglichkeiten
der Versorgung um.

4,5 Quadratmeter stehen einem Flüchtling in solchen Lagern durchschnittlich zu Verfügung. Mehrbettzimmer, Gemeinschaftsküche, und -toiletten sind die Regel, Lärm, Schmutz und Konflikte an der Tagesordnung. Vor allem Kinder leiden unter diesen Bedingungen. Dass der Freistaat Derartiges toleriert, scheint zunächst unverständlich. Es genügt jedoch ein Blick in die Verordnung, die in Bayern den Umgang mit Flüchtlingen regelt, um zu verstehen, warum das so ist. Dort heißt es in Paragraf 7, dass die Unterbringung in Lagern „die Bereitschaft zur Rückkehr ins Heimatland fördern“ soll.

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