Süddeutsche Zeitung, 26.06.2013

Heimatlos an der Isar

Flüchtlinge im Hungerstreik

Das Camp der Flüchtlinge im Hungerstreik mitten in München. Foto: Marc Müller/dpa


Sie haben inzwischen ein weiß-rotes Flatterband gespannt um die Zelte, weil sie sich ein wenig zurückziehen wollen und schützen vor den vielen Sympathisanten und jenen, die aufs "Ausländerpack" schimpfen. Einen ordentlichen Eindruck macht das Lager auf dem Rindermarkt in München, zwei Dixie-Klos gibt es, alles kein Vergleich mehr zum Plastikplanenverhau der ersten beiden Tage, der die Flüchtlinge nicht vor dem Regen geschützt hat.

Jetzt haben sie weiße Partyzelte umfunktioniert zu einer Schutzhülle. Auf den Pflasterboden haben sie Holzpaletten und zusammengeklappte Biertische gelegt, darauf ihre Schlafsäcke und Decken ausgebreitet, es ist ja nicht Sommer in München. "Here is Hunger Strikers' area", steht auf dem Absperrband, bitte nicht betreten. Auf einer Bierbank lesen Männer in den Zeitungen, was über sie geschrieben steht. "Verschärfter Hungerstreik" steht da, oder: "Wir riskieren unser Leben". Ein Mann aus dem Kongo kommt zum Band. "I am so weak", sagt er leise, ich bin so schwach.

Es ist Tag fünf ihrer Aktion, seit Samstag verweigern gut 50 Flüchtlinge das Essen, seit Dienstag trinken sie auch kein Wasser mehr. Plötzlich sind da Flüchtlinge mitten in München, einen Steinwurf vom Viktualienmarkt mit seinen teuren Köstlichkeiten entfernt; plötzlich müssen sich die Regierenden in Bayern mit Menschen befassen, die sie mit ihrer Politik doch eigentlich abschrecken wollen.

Entsprechend haben die CSU-Ministerien, das für Soziales und das für Inneres, zunächst aufeinander gezeigt und den jeweils anderen für zuständig erklärt, keiner wollte was mit dem Problem dieser Schutzsuchenden zu tun haben. Immerhin, am Mittwoch setzten sich die Behörden mit den Flüchtlingen an einen Tisch, aber die Fronten bleiben verhärtet.

Zuvor schon hat Christine Haderthauer, die Sozialministerin der CSU, klar gemacht, was jetzt Sache sei: "Hierzulande ist Politik nicht erpressbar, wir leben in einem Rechtsstaat, wo man sich nicht durch Hungerstreiks eine Vorzugsbehandlung erzwingen kann." Die Flüchtlinge hätten jetzt gefälligst wieder zu essen. Kasernenhofton statt Mitgefühl.

"Mich berührt das persönlich"

Am Vortag war schon der erste Flüchtling auf die Intensivstation gebracht worden, er hatte das Bewusstsein verloren, am Mittwoch kamen drei weitere ins Krankenhaus. Sie meinen es ernst, die "Non-Citizen", wie sie sich nennen. Die Nicht-Bürger wollen den Bürgern des Freistaats klar machen, dass man sie selbstverständlicher Rechte beraubt, sie nicht arbeiten lässt, sie aus ihrem Regierungsbezirk nicht raus lässt, sie mit Essenspaketen zwangsversorgt und in Massenunterkünfte steckt, wo sie untätig über viele Monate auf ihren Asylentscheid warten müssen. Vordergründig fordern die "Non-Citizens" Asyl von Angela Merkel, der sie einen Brief geschrieben haben, tatsächlich aber kämpfen sie um ihre Würde im CSU-Land.

Karin Gerber ist geschätzt fast doppelt so alt wie die meisten Flüchtlinge, sie hat eine Zeitung unterm Arm und hat von diesem Kampf gelesen. Gerade hat sie einen warmen Mantel vorbeigebracht, der liegt jetzt in einer Tüte im Infozelt, wo deutsche Unterstützer die Versorgung der Flüchtlinge koordinieren und über Nacht eine bemerkenswerte Logistik geschaffen haben. Die Helfer kommen aus ganz Deutschland, aber sie bleiben im Hintergrund, den Protestierenden ist wichtig, eigenständig zu agieren. Nur sie entscheiden.

"Mich berührt das persönlich, das Schicksal dieser Menschen", sagt Frau Gerber und erzählt von ihrem Sohn, der als Arzt neulich in Syrien geholfen hat, der Schlimmes gesehen hat in einem Land, aus dem die Menschen auch fliehen müssen. "Wir sind ein so unheimlich reiches Land!", ruft Frau Gerber in die Junikälte, weil sie nicht versteht, dass die, die es bis zu uns geschafft haben, so schäbig behandelt werden. Sie kennt ja auch die Fotos von den Jugendlichen, die auf einem alten Münchner Militärareal untergebracht sind, der "Bayernkaserne". Minderjährige, die ohne Eltern gekommen sind, "sie haben ja keine Zukunft."

Die Unterkünfte in München sind so überfüllt, dass die zuständige Bezirksregierung letzte Woche eine alte Container-Anlage aufgemacht hat. Sie war vor Jahren wegen Schimmels und Ratten dicht gemacht worden, wurde dann saniert und diente zuletzt Obdachlosen als Schlafstätte.

Die Verantwortlichen in Bayern tun gerne überrascht: Ach, so viele Flüchtlinge auf einmal! Tut uns echt leid, aber wir wissen gar nicht, wohin mit ihnen. Dazu kommt, dass wohlhabende Umlandgemeinden alles wollen, bloß kein Flüchtlingsheim auf ihrem Grund und Boden. Das Ziel der Staatsregierung, keine Fluchtanreize zu schaffen, mündet in eine Politik, die radikale Proteste provoziert. Seit eineinhalb Jahren dauern die nun an, ihren Ausgang nahmen sie in Würzburg. Dutzende Flüchtlinge sind dann von dort nach Berlin marschiert, verbessert hat sich ihre Situation aber nicht.

Gerade noch hat Karin Gerber gerufen: "Wir sind so reich!" Da meldet sich eine andere Passantin zu Wort, ähnliches Alter, andere Meinung: Es liege doch so viel Müll im Englischen Garten, der müsse dringend weggeräumt werden, und die da, sie deutet auf die Zelte, die liegen bloß rum und tun nix. Den ganzen Tag wird heftig diskutiert auf dem Fußweg, die Argumente gehen so: "Wir können doch nicht Millionen hier aufnehmen!" "Die deutsche Politik ist mitverantwortlich, dass so viele fliehen müssen."

Im Infozelt geht eine junge Frau zu einer Thermoskanne, pumpt Milch in ein Fläschchen, das sie ihrem 16-monatigen Kind bringt. Drei Kinder leben im Camp, sie sind nicht im Hungerstreik. Die Frau mit der Milch ist hochschwanger, sie trinkt. Ob sie auch genügend isst, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen am Rindermarkt. Ministerin Haderthauer jedenfalls lässt via Pressemitteilung diesen Satz verbreiten: "Dass eine schwangere Frau in den Hungerstreik geht und damit ihr Ungeborenes gefährdet, muss sofort beendet werden." Würde sie sich in einem anderen Ton an die Mutter wenden, vielleicht würde sie dem Ungeborenen mehr helfen.

Bernd Kastner

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Zurück