Schwäbisches Tagblatt, 06.12.2010
Haderthauer auf Feldzug gegen Asylbewerber
CSU-Sozialministerin verschärft in Bayern den Ton
Mit Hungerstreiks demonstrieren Asylbewerber in Bayern seit Wochen gegen ihre Lebensbedingungen und die Zustände in den Flüchtlingslagern. Bayerns Sozialministerin: Wem es hier nicht passt, soll gehen.
Seit mehr als zwei Wochen sind rund 250 Asylbewerber in Bayern im Hungerstreik, an die 500 Flüchtlinge verweigern die Annahme der Essenspakete. Sie verlangen, statt der umstrittenen Pakete Geld zu bekommen, um sich selbst Sachen für den täglichen Bedarf kaufen zu können. Und sie möchten nicht mehr in den Asylbewerberlagern leben, deren hygienische Zustände immer wieder scharf kritisiert werden, sondern in normalen Wohnungen.
Die Situation mancher Hungernden ist jetzt so kritisch geworden, dass sie auf ärztliches Anraten "wieder Kleinigkeiten zu sich nehmen", wie Hans-Georg Eberl von der Münchner Flüchtlingsorganisation "Karawane" sagt. Am Wochenende trafen sich Hilfsgruppen und Asylbewerber aus ganz Bayern, um über das weitere Vorgehen zu sprechen. "Manche mussten auch den Boykott der Essenspakete aussetzen", berichtet Eberl, "weil sie nicht mehr konnten." Allerdings stünden weitere Flüchtlinge in den Startlöchern, um mit dem Boykott zu beginnen. Geplant ist eine landesweite Protestaktion in München am 21. Dezember, die sich gegen die umstrittene Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) und ihren harten Asylkurs richten soll.
Die Boykotte und Hungerstreiks finden momentan schwerpunktmäßig im bayerisch-schwäbischen Augsburg statt, aber auch in Coburg (Oberpfalz) oder in Denkendorf im Altmühltal. Da ist zum Beispiel der Nigerianer Samuel Rufus, Mitte 20, der seit zwei Jahren im Augsburger Lager lebt. Über seinen Asylantrag ist noch keine Entscheidung gefallen. "Ich würde sehr gerne in Deutschland als Altenpfleger arbeiten", sagt er. Dass ihnen Lebensmittelpakete gegeben werden, sehen die Menschen als Bevormundung, als Entwürdigung. Viel lieber würden sie die Grundleistung von 184 Euro in bar bekommen, die ihnen monatlich zusteht - zwei Drittel des entsprechenden Hartz-IV-Geldes. Hinzu erhalten sie ein Taschengeld und eine Unterkunft gestellt, in Bayern meist in Lagern.
Samuel Rufus tut einiges, um sich zu integrieren: Er besucht Deutschkurse, die von Hilfsgruppen angeboten werden, und hat sich in der Altenpflege qualifiziert. Dennoch: Arbeiten wird er auf absehbare Zeit nicht dürfen. In Nigeria, so sagt Rufus, sei er von Kriminellen verfolgt worden, die ihn erpressten und in ihre Machenschaften hineinziehen wollten. Wie sind seine Aussichten? "Schlecht", sagt Flüchtlingshelfer Eberl, "er hat keine wirklich guten Gründe, die seine Verfolgung belegen." Außerdem würden Nigerianer im Asylverfahren meist abgelehnt, weil oft argumentiert werde, dass Verfolgte schließlich in anderen Teilen des großen Landes Schutz finden könnten. Allerdings: Aus humanitären Gründen, etwa bei Traumatisierungen, oder nach Entscheidungen von Härtefallkommissionen würden manche Flüchtlinge dennoch einen begrenzten Aufenthalt bekommen. Nach Schätzungen trifft dieser Vorgang auf ein Viertel bis ein Drittel der Bewerber zu.
Landes-Sozialministerin Haderthauer sorgt unterdessen mit ihrer rigiden Haltung gegenüber Flüchtlingen für immer heftigere Kritik, auch von Seiten der FDP, dem Koalitionspartner im bayerischen Landtag. Mehr als zwei Drittel der Asylbewerber missbrauchten "unser Gastrecht", sagte Haderthauer in der vergangenen Woche. Sie habe "harte Zahlen" für diese Behauptung. Und wem es hierzulande nicht passe, könne jederzeit wieder nach Hause gehen. Er bekomme dafür "die größtmögliche Unterstützung seitens der bayerischen Staatsregierung". Menschen ohne Bleiberecht, so die Sozialministerin, sollten in ihre Heimat zurückkehren.
"Entsetzt" zeigt sich die FDP-Sozialpolitikerin Brigitte Beyer. Sie empfindet Haderthauers Aussagen als "zynisch". Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) mahnt: "Im Umgang mit Flüchtlingen sollten Humanität und Solidarität unser Leitbild sein." Der Präsident der bayerischen Diakonie, Ludwig Markert, stellt fest: "Die meisten Flüchtlinge kommen aus Krisenländern, in die sie nicht einfach zurückkehren können."
Die Grünen und der bayerische Flüchtlingsrat verweisen auf prekäre Zustände in den Gemeinschaftsunterkünften: Die Gebäude seien baufällig, bis zu acht Personen bewohnten ein Zimmer, die hygienischen Einrichtungen seien mangelhaft. In Augsburg beispielsweise müssten sich 80 Menschen vier Toiletten teilen.
Der Asylbewerber Saiduk Kamara, ein gut 40 Jahre alter Journalist aus dem afrikanischen Krisenstaat Sierra Leone, würde gerne mehr tun in Deutschland, als nur die Zeit im Augsburger Lager abzusitzen und Pakete zu öffnen. In anderen Bundesländern hätte er bessere Lebensbedingungen als im Freistaat: In Berlin etwa oder in Teilen Nordrhein-Westfalens sind Asylbewerber in Privatwohnungen untergebracht und erhalten Sozialleistungen in barer Münze. "Das wäre", argumentiert Flüchtlingshelfer Eberl, "sogar günstiger als die Praxis in Bayern."
Haderthauer zeigt sich jedoch unerbittlich. Wer kein Bleiberecht habe und mit Abschiebung rechnen müsse, dürfe nicht aus den Gemeinschaftsunterkünften ausziehen. "Es gibt sehr gute Unterkünfte", verriet sie der "Süddeutschen Zeitung", "und welche, die noch ein bisschen Nachholbedarf haben." Letztere würden nach und nach angepasst.
PATRICK GUYTON
Quelle: Schwäbisches Tagblatt