Neue Presse Coburg, 15.01.2011

"Gemeinden werden allein gelassen"

Neue Presse: Woher kommen die Menschen, die bei uns Asyl suchen?

Stefan Klingbeil: Laut Bundesamt für Flucht und Migration kommen die meisten Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten Afghanistans, des Iraks, dem Iran und Somalia. Aus Ländern, deren dramatisches Schicksal wir alltäglich in den Nachrichten verfolgen können. Daneben fällt eine große Gruppe von durch Armut und Diskriminierung entrechteter Roma aus Serbien und Mazedonien auf.

Werden Sie öfters mit Ängsten von Anwohnern konfrontiert?

Da durch die jahrelange Untätigkeit der Landes- und Bezirksregierungen massiver Handlungsbedarf besteht, versuchen etliche Bezirksregierungen, Gebäude im ländlichen, kostengünstigen Raum anzumieten. Insbesondere dort, wo wie in Ebersdorf größere Gruppen in kleinen Gemeinden untergebracht werden sollen, gibt es Probleme. Dabei hat sich die Regierung bisher nicht durch Transparenz, Information und Hilfestellung hervorgetan. Die Gemeinden werden oft allein gelassen mit den neuen Aufgaben. Eine Verunsicherung ist also vorprogrammiert.

Was raten Sie?

Wir raten generell, vom Schicksal der Flüchtlinge auszugehen. Kein Mensch flieht freiwillig. Die zugewiesenen Flüchtlinge haben es sich nicht selbst ausgesucht, nach Ebersdorf zu kommen. Was sie jetzt brauchen, ist Kontakt in die Gemeinde, Unterstützung in alltagspraktischen und juristischen Dingen sowie Zugang zu Bildung, Arbeit und Sprachkursen.

Wäre es nicht sinnvoller gewesen, für die 120 Flüchtlinge in Ebersdorf eine Unterkunft in einer größeren Stadt zu suchen oder sie auf mehrere Ortschaften aufzuteilen?

Wir fordern seit Langem von den Bezirksregierungen die Auflösung der sogenannten Dschungelcamps. Keinem Menschen ist mit der Unterbringung von Flüchtlingen abseits von kulturellen Angeboten und sozialen Netzwerken gedient. Dies fördert in den Lagern nur Isolation und Desintegration.

Zudem stellt die Unterbringung in Lagern für 120 Menschen in Mehrbettzimmern und ohne Zugang zu Arbeit und Bildung eine unnötige Härte dar, die von den Flüchtlingen ja oft über Jahre erduldet werden muss. Die Unterbringung in Privatwohnraum wäre hier weitaus günstiger. Aber die Bayerische Flüchtlingspolitik weigert sich, dies anzuerkennen.

Wie soll eine Gemeinde wie Ebersdorf - ihre Schule und ihre Kindergärten beispielsweise - ohne zusätzliches Personal die Menschen aufnehmen können?

Das geht einfach nicht. Und deshalb müssen hier von den Gemeinden auch Unterstützungsleistungen von der Bezirksregierung gefordert werden. Das ist das A und O der Integration, von der überall geredet wird. Man darf die Politik nicht aus der Pflicht lassen.

Was ist generell zu tun?

Integration in einer durch Zuwanderung geprägten Gesellschaft, wie es die Bundesrepublik seit 1945 ist, heißt Offenheit, Toleranz und Interaktion. Das geht über Bildung und Arbeit am besten, braucht aber auch den alltäglichen Kontakt, die Aufhebung von Barrieren und Unterstützung dort, wo strukturelle Diskriminierung vorliegt. Flüchtlinge in Bayern sind genau dem unterworfen. Auf sie zuzugehen, öffnet die Tür zur Integration.

Die Fragen stellte Volker Friedrich

Quelle: Neue Presse Coburg

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