Abendzeitung, 14.03.2012

Gelockerte „Lagerpflicht“?

Das Asylgesetz wird geändert. Dem Flüchtlingsrat geht das noch nicht weit genug


Morgen verabschiedet der Landtag den Asylkompromiss von CSU und FDP. Das Bayerische Aufnahmegesetz soll gelockert werden. Bis dato galt für Asylbewerber eine „strikte Lagerpflicht“, Familien und Alleinerziehende sollen nun nach Abschluss des Asylverfahrens aus der Unterkunft ausziehen und eine Wohnung suchen dürfen, Ledige und Kinderlose vier Jahre nach Abschluss ihres Asylverfahrens.

Der Bayerische Flüchtlingsrat geht noch viel weiter: Er hat gestern die Auflösung dieser Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber gefordert. Seine Forderung: Sie sollen sich alle auf eigene Faust eine Wohnung suchen dürfen. Dies könnte für die Staatskasse günstiger sein. Allein für ein „Lager“ in Aschaffenburg könnten über 600 000 Euro im Jahr eingespart werden, würden alle Bewerber in Wohnungen untergebracht, berechnete der Rat.

Beim Sozialministerium hält man das für unrealistisch. Unter anderem würden Asylbewerber gerade in Großstädten nur schwer eine Wohnung finden. Überhaupt lebte schon jetzt mehr als die Hälfte der Bewerber aufgrund einzelner Auszugserlaubnisse in Privatwohnungen. Die Sozialministerin wolle diese bestehenden Möglichkeiten zum Auszug noch erweitern.

Der Fall von Nawid Sher* darf wohl als Gegenbeispiel gelten: Der Afghane ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Zu fünft lebt die Familie seit 14 Monaten in einem Zimmer einer Münchner Gemeinschaftsunterkunft. Rund 35 Menschen teilen sich dort pro Stockwerk eine Küche und zwei Toiletten.

„Im Lager ist alles ein Problem", sagt Nawid Sher

Eigentlich könnte sich Familie Sher schon jetzt eine eigene Wohnung suchen. Denn seit April 2011 gilt bereits die vorläufige Neuregelung, die morgen im Landtag endgültig verabschiedet werden soll. Die Eheleute Sher und ihre Kinder könnten deshalb aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen. Aber Nawid und seinem jüngsten Kind wird dies nicht gestattet: Die Shers sollen zuerst per Heiratsurkunde beweisen, dass sie eine Familie sind.

Der Flüchtlingsrat vermutet dahinter System. „Brauche ich etwa eine Heiratsurkunde, um einen Mietvertrag zu unterschreiben?“, kritisiert Alexander Thal vom Flüchtlingsrat. Weitere Stolpersteine seien etwa, dass die Bewohner nach dem neuen Gesetz zuerst eine Wohnung finden müssten, bevor sie einen Auszug beantragen. Fast überall in Bayern stehe in den Papieren geduldeter Flüchtlinge aber, dass sie verpflichtet seien, in einer Gemeinschaftunterkunft zu wohnen. Ein Vermieter finde sich so schwer.

Für Thal ist das politische Ziel dahinter klar: „Die Leute sollen wieder raus aus Deutschland.“ Wie es für Sher und seine Familie weitergeht ist ungewiss.   KF

*Name geändert

Quelle: Abendzeitung München

Zurück