Mainpost, 10.09.2012

Fußmarsch für eine bessere Welt

Flüchtlinge wollen den Protest gegen die Asylpolitik aus Würzburg in die Bundeshauptstadt tragen

 

Sie haben Petitionen übergeben. Sie haben nichts mehr gegessen und getrunken. Sie haben sich die Münder zugenäht. Die Asylpraxis hierzulande zu ändern und sich selbst ein Aufenthaltsrecht zu erkämpfen, ist das Ziel des seit Mitte März dauernden Protests iranischer Flüchtlinge in Würzburg. Fortgesetzt werden die Aktionen seit Samstag mit einem Marsch nach Berlin. Laut Polizeiangaben nahmen 180 Asylbewerber und Unterstützer aus ganz Bayern an der Auftaktkundgebung teil. Gut 50 von ihnen beteiligen sich am Protestzug. Sie wollen in 30 Tagen die knapp 500 Kilometer entfernte Bundeshauptstadt erreichen.

Es sei wichtig, dass sich Flüchtlinge aus ganz Deutschland vereinen, betonte Asin Assadi kurz vor dem Abmarsch auf der Juliuspromenade. Der in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft (GU) untergebrachte Iraner, der vor 15 Monaten nach Deutschland geflohen war, protestiert seit Anfang Juni gegen die seiner Meinung nach unmenschlichen Bedingungen für Flüchtlinge in Bayern. „Schmutz, Lärm, Gewalt und psychische Leiden“, das bezeichnet der 28 Jahre alte Flüchtling als für ihn persönlich das Schlimmste an der Lagerunterbringung. Er möchte hier, so sagt er, wie jeder andere Bürger leben. Deshalb beteilige er sich am Protestmarsch.

Die Flüchtlinge und ihre Sympathisanten sehen sich als Vorkämpfer für eine „bessere Welt“ und wollen Veränderungen, die über die Asylpraxis hinausgehen. „Das größte Problem in diesem Land ist die Ignoranz der Menschen“, so die Nürnberger Sängerin und Liedermacherin Dorothea Tausch, die nach Berlin mitlaufen will und den Protestmarsch im Vorfeld durch den Verkauf eigener CDs unterstützte. Seit vier Wochen besucht sie die in Nürnberg streikenden Asylbewerber täglich in ihrem Zelt: „Die meisten Leute gehen einfach vorbei. Sie sind durch die Nachrichten über all das Elend in der Welt abgestumpft und nehmen echtes Leid in ihrer unmittelbaren Nähe nicht mehr wahr.“

Angst vor einem unkontrollierten Zustrom an Flüchtlingen sei unnötig, so der Bundestagsabgeordnete der Linken, Harald Weinberger, der zum Marschauftakt ebenfalls aus Nürnberg anreiste. „Wirtschaft und Politik wollen doch Zuzug“, meinte er. Dabei dürfe es keine „Rosinenpickerei“ geben. Wenn schon offene Türen für Migranten, dann auch „wirklich für alle, die hier leben und arbeiten wollen“. Wie Omid Moradian aus Regensburg. „Wir sind ganz normale Menschen“, betonte der 28-jährige Iraner, der davon überzeugt ist, dass niemand einfach so in ein anderes Land geht. Auch er habe fliehen müssen. Und möchte irgendwann wieder zu seiner Familie zurück.

„Wir Europäer tragen mit dazu bei, dass Krisenherde entstehen, so dass Menschen fliehen müssen“, sagte Kerstin Kernstock vom Ansbacher Friedensbündnis. Der vor allem von den westlichen Nationen verursachte Klimawandel sei zum Beispiel ein Grund dafür, dass es Menschen nicht mehr möglich ist, in ihrer Heimat zu überleben. Die medizinische Angestellte kämpft seit Jahren für eine gerechtere Welt. Darum unterstützt sie auch den Protestmarsch.

Auch die Landesflüchtlingsräte und die Hilfsorganisation „Pro Asyl“ rufen in einer Pressemitteilung zur Solidarität mit dem Marsch nach Berlin auf. Dagegen distanzieren sich nicht-iranische Bewohner der Würzburger GU in einem Schreiben an die Redaktion von dieser Protestform. Der Marsch schade den Anliegen aller Asylbewerber, weil er für „schlechte Publicity“ sorge.

Unterdessen verbrachten die Protestierenden die Nacht zum Sonntag in Zelten auf dem Sportplatz in Dipbach (Lkr. Würzburg). Am Sonntagabend war Schweinfurt das Ziel, wo sie in der alevitischen Gemeinde übernachten wollten.

Einzelne Flüchtlinge hatten angekündigt, mit ihrer Teilnahme am Protestzug bewusst gegen die in Bayern geltende Residenzpflicht zu verstoßen. Laut dieser Regelung dürfen sich Asylbewerber nur in dem Regierungsbezirk aufhalten, in dem sie bei einer Ausländerbehörde gemeldet sind. Die Polizei erkannte eigenen Angaben zufolge zwei Verstöße gegen die Residenzpflicht und kündigte weitere Ermittlungen an.

Mit Informationen von EPD

Von Pat Christ

Link zum Beitrag (mit Fotogalerie des Protestmarsches):
http://www.mainpost.de/regional/franken/Fussmarsch-fuer-eine-bessere-Welt;art1727,7013882

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