3 sat, 05.09.2012

Für mehr Menschenwürde

Flüchtlingsproteste in Deutschland

 

Die Proteste von Asylbewerbern in Deutschland nehmen zu, insbesondere seit sich ein Asylbewerber in Würzburg Anfang 2012 das Leben genommen hat und zwei iranische Flüchtlinge sich die Münder zugenäht hatten und in Hungerstreik getreten waren. Inzwischen hat sich in acht deutschen Städten eine Protestbewegung von Flüchtlingen entwickelt, unterstützt von Pro Asyl. Am 8. September 2012 münden die Proteste in einem Sternmarsch auf Berlin.


Angefangen hat alles im Januar 2012 in Würzburg im Haus 305, eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. Der iranische Flüchtling Mohammed Rahsepar hielt es dort nicht mehr aus und beging Selbstmord. Die Nachricht war der Auslöser, seitdem protestieren Flüchtlinge überall. Acht Monate später stehen Protestcamps in neun deutschen Städten. Die Flüchtlinge organisieren sich selbst und planen einen Sternmarsch nach Berlin - ohne Erlaubnis der Behörden. "Wir planen einen Protestmarsch von Würzburg nach Berlin, um gegen die Residenzpflicht zu verstoßen", sagt Ashkan Khorasani, Flüchtling aus Iran. "Wir werden alle Flüchtlinge versammeln und in Berlin gegen die Flüchtlingsgesetze protestieren. Dort werden wir streiken."

Isolation und Residenzpflicht


Die Mauer des Schweigens bröckelt. Flüchtlinge stellen gemeinsame Forderungen und versuchen damit, die Isolation zu durchbrechen, in die sie das deutsche Asylrecht gezwungen hat. "Die Gründe für die Residenzpflicht sind Lastenteilung, das heißt, die Kosten auf die Kommunen zu verteilen, Kontrolle, Zugriff auf den Flüchtling zu haben, wenn er abgeschoben werden soll. Und Abschreckung, das heißt, anderen Flüchtlingen zu zeigen: Ihr könnt euch hier den Wohnort in Deutschland nicht frei aussuchen." Immer mehr Flüchtlinge trotzen den Konsequenzen. Aus ihren Heimen am Rande der Gesellschaft ziehen sie in die Öffentlichkeit. Ihre eigenen Geschichten und Erfahrungen sind schlagende Argumente gegen das Lagersystem.

"Für fünf oder zehn Jahre Jahre musst du dieses gleiche Essen essen. Nicht mehr. Das ist alles", berichtet Ajin Assadi. "Ich bin 4000 Kilometer illegal hierher gereist", sagt Ashkan Khorasani, Flüchtling aus dem Iran. "Ich habe viele Grenzen überschritten, habe sie durchbrochen. Ich glaube nicht an diese Grenzen." Auch beim Break Isolation Camp in Erfurt steht der Protestmarsch auf dem Programm. Flüchtlinge und Aktivisten aus ganz Deutschland entwerfen Strategien und Aktionen, sind dabei, die Routenplanung für den Marsch nach Berlin zu organisieren. In Nordthüringen, zwischen Feldern und der A 38, liegt die Gemeinschafsunterkunft Breitenworbis. Dort leben rund 100 Flüchtlinge und warten auf politisches Asyl. Abschiebung oder Aufenthaltserlaubnis? Die Verfahren dauern oft jahrelang.

Deutsch lernen und Arbeit finden


"Sie haben uns vom Rest der Gesellschaft isoliert", sagt Ali Najimi, Flüchtling aus Afghanistan. "Wir sind ausgegrenzt. Die Bevölkerung kann hier mit dem Finger auf uns zeigen. Wir wollen mit den Menschen hier zusammen leben und die Sprache lernen, damit wir uns hier wohlfühlen können." Fast alle Flüchtlinge aus Breitenworbis werden am Marsch teilnehmen und für bessere Lebensbedingungen demonstrieren, dass sie Deutsch lernen dürfen und arbeiten können. Weil wir das Haus ohne Behördenbegleitung nur von außen filmen durften, haben die Bewohner selbst Videos zur Verfügung gestellt.

"Viele werden einfach krank", sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin, "psychisch oder physisch krank und beruflich disqualifiziert. Das heißt, sie kommen dann, wenn sie nach vielen Jahren als Flüchtlinge anerkannt werden oder aus humanitären Gründen ein Bleiberecht kriegen, auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr unter, finden keine Arbeit mehr und viele werden auch so krank, dass sie gar nicht mehr arbeiten können."

Protestcamp in Berlin


Ziel des Protestmarsches ist Berlin. Dort im Camp werden letzte Details der Route besprochen. Zwei Aktivisten haben die Strecke mit dem Rad getestet, Teile des Plans müssen noch einmal angepasst werden. Alle Treffen sind öffentlich, jeder kann sich einmischen, alles wird diskutiert: Wie kann die Karawane versorgt werden, woher kommen die Zelte und wie soll es nach dem Marsch in Berlin weitergehen? "Eins ist klar: Die streikenden Flüchtlinge wollen hier in Berlin weiterstreiken", sagt Claudio Feliziani, Aktivist von "Die Karawane", "selbst wenn der Herbst kommt und es kälter wird. Deshalb kümmern wir uns jetzt um die Infrastruktur, um selbst im Winter auf der Straße bleiben zu können."

In Deutschland leben rund 60.000 Menschen in Asylanten-Heimen wie Würzburg und Breitenworbis. Genaue Zahlen gibt es nicht. "Ich möchte, dass deutsche Familien herkommen und sehen, ob sie eine Nacht hierbleiben können", so Ali Najimi. "Wenn sie eine Nacht hier bleiben, dann bleibe ich auch zehn Jahre hier und halte meine Klappe."

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http://www.3sat.de/mediathek/?display=1&mode=play&obj=32348

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