Münchner Merkur, 10.01.2012

Flüchtlingswelle: Amt Überfordert

 

Das Jugendamt schlägt Alarm: Die Flut von minderjährigen Flüchtlingen überfordert die wenigen Mitarbeiter. Selbst „Kernaufgaben" zu erfüllen sei „kaum mehr möglich". Erste Flüchtlinge reagieren bereits mit einem Hungerstreik.

 

Sie kommen aus Afghanistan, Somalia und dem Irak, Sie lassen ihre Familien zurück, schlagen sich nach Europa durch, flüchten vor Tod und Elend. Viele haben ihre Eltern in den Kriegswirren verloren, andere fürchten eine Zwangsrekrutierang durch die Taliban, die stets auf der Suche sind nach neuen Gotteskriegern. Hunderte Minderjährige stranden jedes Jahr in München - In der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Die Mitarbeiter des Jugendamts versuchen nach Kräften, ihnen zu helfen. Doch es gibt zu wenige Helfer und zu viele Hilfesuchende. Die Zahl der Flüchtlinge steigt stetig: Wurden im Oktober 2009 noch 525 „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" betreut, so waren es im Dezember 2011 fast doppelt so viele. Auf 906 „UMF" kommen gerade mal zehn städtische Pädagogen, die sich um die meist traumatisierten Jugendlichen kümmern. Weitere sieben Mitarbeiter sind für die Verwaltung zuständig. Das reicht nicht.

Die Erfüllung der „Kernaufgaben" - beispielsweise das organisieren einer Unterkunft - sei „kaum mehr möglich", heißt es in einem Papier, das heute im Stadtrat diskutiert werden soll Die Erstaufnahmeeinrichtung in der alten Bayernkaserne in  Freimannsei „überfüllt", die Weitervermittlung „stark verzögert". Es sind ungewöhnlich deutliche Worte, die das Amt wählt.

Wie groß die Not ist, ist jedoch umstritten. Der Bayerische Flüchtlingsrat berichtet, dass sich seit Freitag 30 Jugendliche in der Kaserne im Hungerstreik  befänden. Sie prangerten die schlechten Zustände der Unterkunft an, die geringe Zahl an Betreuern, den schwierigen Zugang zu Deutschkursen sowie angeblich abgelaufene Lebensmittel. Thomas Berthold vom „Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge" spricht von „katastrophalen Bedingungen".

Die Einschätzung von Andreas Herden klingt etwas anders. Die Zustände seien „nicht ideal - es geht sicher eng zu", von einer Katastrophe will der Pfarrer der Inneren Mission aber nicht sprechen. Er wisse nur von einem einzelnen jungen Afghanen,
der sich seit Mittwoch im Hungerstreik befände. Rund 15 Landsleute hätten zudem
aus Protest ihren Hausausweis abgegeben, ohne den man keine Essenspakete bekommt. Die Innere Mission übernimmt die Betreuung der Flüchtlinge in der Kaserne - jetzt wolle man sich mit den Afghanen zusammensetzen und über Ihre Probleme sprechen.

Laut der Regierung von Oberbayern ist Überfüllung aber keines davon. Die Kaserne befände sich, lediglich „an der Kapazitätsgrenze". Von 400 Plätzen seien 579 belegt.

Doch das ist nicht das einzige Problem: Die individuelle Betreuung der Minderjährigen leide spürbar unter der Personalnot, warnt das Jugendamt.          Außerdem müssen die Jugendlichen oft viel zu lange in der Kaserne ausharren. Eigentlich sollten sie nach drei Monaten in eine Jugendhilfeeinrichtung wechseln - doch ein „sofortiger Übergang ist derzeit nicht realisierbar", gesteht ein Amtssprecher. Die Stadt halte lediglich 300 Plätze für „UMF" vor. Für 904 Fälle. Die Folge: Manche Flüchtlinge sitzen nach acht, neun, zehn Monaten noch immer in der Kaserne fest.

Durch die enorme Belastung des Amts könnte der Stadt zudem ein finanzieller Schaden entstehen. Die Kosten für die Betreuung erstattet die Regierung von Oberbayern - doch nur, wenn die Anträge auch rechtzeitig gestellt werden. Die Verwaltung aber arbeitet am Anschlag, Wird auch nur ein einziger Fall übersehen, kostet das die Stadt pro Jahr 55 000 Euro. Das Jugendamt fordert daher dringend sechs neue Vollzeitstellen. Zudem sollen heuler 100 neue UMF-Plätze entstehen. Doch selbst dann, heißt es, könne man keine Entwarnung geben.


Von Thomas Schmidt

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