ddp, 11.06.2009
Flüchtlingsverbände protestieren gegen Sammelunterkünfte
Obwohl Issam Al-Robayee schon 30 Jahre alt ist, darf er nur bis um 22.00 Uhr abends Besuch empfangen. Sein Zimmer muss er sich mit fünf anderen Männern teilen, das Badezimmer sogar mit rund 45 Leuten. Der Iraker lebt seit sieben Jahren in einem Sammelflüchtlingslager in Augsburg, Privatsphäre gibt es hier nicht. Eine private Wohnung darf er sich nur unter bestimmten Bedingungen nehmen. Seit Donnerstag demonstrieren er und die Flüchtlingshilfsorganisation «Deutschland Lagerland» in München gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in Sammellagern. Das Netzwerk fordert, Flüchtlingen das Recht zuzugestehen, in Wohnungen zu leben, statt zum Aufenthalt in Lagern gezwungen zu werden. Der Landtag will sich auf Antrag der Grünen in der kommenden Woche mit dem Thema befassen.
Nach Angaben der Veranstalter leben in Bayern über 7000 Flüchtlinge in den insgesamt 118 Gemeinschaftsunterkünften. Die Lebensbedingungen sind laut Al-Robayee menschenunwürdig. Das Bad, die Toiletten und die Küche seien total verdreckt, häufig sehe er auch Ungeziefer, berichtet der 30-Jährige angewidert. Ein bis zwei Mal pro Woche würde das Lager zudem von der Polizei kontrolliert, teilweise mitten in der Nacht, sagt Al-Robayee.
Alexander Thal kennt die Zustände in den Gemeinschaftsunterkünften. Eine junge Frau sei sogar von einem Hausmeister vergewaltigt worden, erinnert er sich. Thal gehört zu den Organisatoren der Aktionstage, die Druck auf die Landtagsabgeordneten aufbauen sollen, den Lagerzwang abzuschaffen. Das Festhalten an der bisherigen Regelung ist für ihn eine bewusste politische Entscheidung der CSU, um die Flüchtlinge zur Rückkehr in ihre Heimatländer zu bewegen. «Gerade die Hardliner in der CSU mit Innenminister Joachim Herrmann versuchen, den Lagerzwang beizubehalten, um die Leute mürbe zu machen, bis sie verschwinden», schimpft Thal.
Das oft bemühte Argument, dass die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften günstiger sei, lässt Thal nicht gelten. Ein Vertreter der Stadt München habe errechnet, dass ein Platz in einem Sammellager pro Monat mit 680 Euro zu Buche schlage, erläutert er. «Dafür bekommen sie schon ein normales Ein-Zimmer-Appartement», insistiert er. Sein Vorschlag ist, alle Flüchtlinge in Privatwohnungen ziehen zu lassen und ihnen - sofern sie keine eigenen Einkünfte haben - die Mietkosten basierend auf den «Hartz-IV»-Regelungen zu finanzieren. In München würde beispielsweise eine Kaltmiete bis zu 450 Euro erstattet, fügte er hinzu. «Dann könnte man sogar sparen», bekräftigt Thal.
Berechnungen des Sozialministeriums hingegen gäben Unterbringungskosten in Höhe von 230 Euro pro Monat an, sagt Thal weiter. Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) betont stattdessen, dass man weiterhin am «Grundsatz der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften festhalte». Unter bestimmten Bedingungen sei es außerdem bereits jetzt möglich, eine Privatwohnung zu nehmen. «Von allen Personen, die dem Grundsatz nach in Gemeinschaftsunterkünften wohnen müssten, leben in Bayern bereits heute knapp die Hälfte in Privatwohnungen», fügt Haderthauer hinzu.
Am kommenden Donnerstag (18. Juni) debattiert der Landtag über einen Gesetzesentwurf der Grünen-Fraktion. Diese fordert wie die Flüchtlinge eine Abschaffung der Lagerpflicht. Auch FDP, SPD und Freie Wähler seien einer Reform gegenüber aufgeschlossen, sagt Thal. Haderthauer kündigte an, dass die CSU-Landtagsfraktion vor der Debatte prüfe, unter welchen weiteren Voraussetzungen und für welche Personengruppen die private Wohnungsnahme gestattet werden soll.
Nicht alle Flüchtlinge dürfen zu den Aktionstagen nach München kommen. Die Ausländerbehörden in der Oberpfalz und Ober-, Mittel- und Unterfranken hätten die Flüchtlinge nicht von der Residenzpflicht befreit, sodass sie nicht anreisen durften, teilt die Flüchtlingshilfsorganisation mit.
Issam Al-Robayee hofft, dass der Protest die Politiker zum Umdenken bewegt und die Sammellager bald der Vergangenheit angehören. Symbolisch wollen die Demonstranten deshalb am Samstag eine Mauer aus Flüchtlingslagern vor dem Bayerischen Landtag einreißen.