Süddeutsche Zeitung, 19.11.2010
Flüchtlingsunterkunft in Coburg: Sanierung im Eiltempo
Skandalöse Zustände - damit ist die Coburger Flüchtlingsunterkunft in die Schlagzeilen geraten. Vor einer Visite von Politikern hat der Bezirk Oberfranken das Heim schnell aufhübschen lassen.
"Die werden es nicht schaffen, hier ein potemkinsches Dorf aufzubauen", sagt Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat in die Mikrofone zahlreicher Reporter. Dann betritt er die Coburger Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge und traut seinen Augen nicht. Skandalöse Zustände hatte er bei seinem letzten Besuch vor 14 Tagen vorgefunden: Wasserschäden, verzogene Türrahmen, tiefe Risse im Mauerwerk, freiliegende elektrische Installationen.
Doch vor allem die Maler haben ganze Arbeit geleistet - auf jeden Fall rechtzeitig genug, um die von Thal angeprangerte Flüchtlingsunterkunft vor der Visite von vier Landtagsabgeordneten etwas aufzuhübschen. Auch der Coburger FDP-Stadtrat Hans-Heinrich Eidt (FDP), der dem riesigen Tross von Journalisten hinterherstapft, ist erstaunt: "Jetzt plötzlich, wo die Politik hierherkommt, ist das alles gestrichen. Vor zwei Wochen war es hier noch total vergammelt."
Petra Platzgummer-Martin, der Vizepräsidentin des Bezirks Oberfranken, bleibt der befürchtete Spießrutenlauf erspart. "Ich kann den Zustand dieses Hauses nicht als so menschenunwürdig empfinden, wie er jetzt dargestellt wird", sagt sie. Als Klagen über die Flüchtlingsunterkunft öffentlich wurden, hatte Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer umgehend klargestellt, wer im Zweifel für Missstände verantwortlich ist: nicht sie selbst, sondern die Bezirksregierung von Oberfranken.
So muss an diesem Donnerstag Platzgummer-Martin ihren Kopf hinhalten, sich immer wieder bohrenden Fragen von Fernseh- und Radioteams stellen. "Ich bin zwar alles andere als begeistert von diesem Haus, aber es ist bewohnbar", sagt sie. Ursprünglich habe es die Regierung von Oberfranken ohnehin Anfang dieses Jahres schließen wollen, doch die wachsende Zahl an Flüchtlingen, die wieder nach Bayern drängen, erlaube keine Schließung. "Wir müssen also hier drin bleiben."
Die Worte der Regierungs-Vizepräsidentin stoßen bei den vier Landtagsabgeordneten auf Verständnis. "Die Bezirksregierungen können auch nur das umsetzen, was ihnen gesetzlich vorgegeben ist. Zudem haben sie selbst kaum die finanziellen Mittel, um alle baulichen Mängel abzustellen", sagt die Grünen-Abgeordnete Ulrike Gote.
Tatsächlich stehen der Regierung von Oberfranken für zehn Gemeinschaftsunterkünfte in ihrem Bezirk in diesem Jahr nur 300.000 Euro zur Verfügung, wie Jürgen Neubauer, der zuständige Sachgebietsleiter für Asylunterbringung sagt. Damit lassen sich in der Tat keine großen Sprünge machen.
Die rasch eingeleiteten Malerarbeiten verfehlen ihre Wirkung nicht. Die SPD-Sozialpolitikerin Susann Biedefeld sagt, sie habe schon schlimmere Asylunterkünfte gesehen. Ihre Parteifreundin Christa Steiger sieht das auch so. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Thomas Hacker sagt jedoch mit Blick auf die Stockflecken an der Decke: "Mit Übertünchen ist hier gar nichts getan." Und er lässt auch durchblicken, dass die Standards für Asylunterkünfte in Bayern noch nicht auf dem Level seien, den die FDP anstrebe.
Doch eines konnten selbst die fleißigen Coburger Maler nicht wegspachteln, nicht übertünchen: Überall im Haus huschen Kakerlaken über die Wände - in den Gängen, in der Küche, im Bad, unter den Betten, in den Schränken. "Ich weiß bald bei jeder Kakerlake, wann sie geboren wurde", sagt der 37-jährige Ibrahim Nadhen. Der aus Syrien stammende Kurde öffnet seinen Kleiderschrank, holt eine Holzschachtel heraus, schüttelt sie kurz und prompt fallen zwei Kakerlaken zu Boden.
Auch Gyan Gurung, der wegen religiöser Wirren aus seiner Heimat Bhutan floh, präsentiert den Landtagsabgeordneten angewidert seine Kakerlaken-Falle: Auf dem Klebestreifen reiht sich Insektenkadaver an Inskektenkadaver. "Es ist ein bisschen schlimm", sagt Gurung mit asiatische Höflichkeit.
Von Dietrich Mittler
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