Süddeutsche Zeitung, 27.07.2005

Flüchtlingsrat kritisiert brutale Abschiebung

„Exzesse der Rücksichtslosigkeit" / Selbstmordgefährdete mit Gewalt in Flugzeug gebracht

Süddeutsche Zeitung: Ein Vater wird vor den Augen seiner Frau in Handschellen abgeführt und ins Gefängnis gesteckt, obwohl er keine Straftat begangen hat. Seine Frau, Mutter von vier Kindern, versucht sich umzubringen und wird in die Psychiatrie eingewiesen. Die Kinder, alle minderjährig, bleiben allein zurück. So beginnt die Geschichte der letzten Tage einer kosovarischen Familie in Bayern. Die Familie Avdija, Angehörige der Minderheit der Ashkali, wird zwangsweise nach Slowenien abgeschoben auf eine Art und Weise, die der bayerische Flüchtlingsrat „unmenschlich" nennt. Der Rat hat das Vorgehen der Behörden auf Grundlage von Gesprächen mit der Familie dokumentiert, sie jüngst gar in Slowenien besucht.

Weil die Familie sich angesichts tätlicher Übergriffe auf den Vater und brennender Häuser anderer Ashkalis im Kosovo nicht mehr sicher fühlt, flüchtet sie 2004 über Slowenien nach Deutschland. Eigentliches Ziel ist Norwegen, wo Verwandte leben, doch sie werden aufgegriffen und landen in der Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf. Dort wird ein Asylverfahren abgelehnt, weil dafür der EU-Staat Slowenien zuständig sei. Um die Abschiebung sicherzustellen, ordnet ein Richter die Haft des Vaters an. Seine ohnehin traumatisierte Frau erleidet einen Wahnanfall, greift eine Tochter an, versucht, aus dem Fenster zu springen. Sie wird zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen. Obwohl die vier Kinder, zwischen zehn und 16 Jahre alt, nun ohne Eltern sind, bleibt der Vater in Haft. Das Jugendamt nimmt die Kinder in Obhut. Nach sieben Tagen sehen sie ihren Vater erstmals wieder - im Gefängnis. „Für sie war es sehr schwer, ihren Vater hinter Gittern zu sehen", sagt Erwin Bartsch von der evangelischen Kirchengemeinde Zirndorf, der die Familie betreute.

Wegen eines Petitionsgesuchs an den Landtag verzögert sich die Abschiebung, so dass der Vater, inzwischen nach Stadelheim verlegt, nach 14 Tagen frei gelassen wird. Orientierungslos wird er von Bartsch in München gefunden. Die Mutter, inzwischen aus der Klinik entlassen, unternimmt einen zweiten Suizidversuch, nachdem der Petitionsausschuss die Abschiebung gebilligt hat.

Zwei Tage später, am 1. Juli, wird sie um vier Uhr morgens von Polizisten aus dem Krankenhaus geholt und zum Münchner Flughafen gebracht, wo auf sie und ihre Familie das Flugzeug nach Slowenien wartet. Weil die Mutter aber auf dem Rollfeld kollabiert, weigert sich der Pilot, sie mitzunehmen. Die Familie verbringt den ganzen Tag in Polizeiautos und auf einer Wache, ehe abends in Ingolstadt ein eigens gechartertes Flugzeug mit einem Arzt an Bord nach Ljubljana abhebt. Während des Flugs wird die Frau ohnmächtig. In Slowenien wird die Familie für fünf Tage in Gefängnishaft genommen, ehe sie in ein Lager kommt. Dort lebt sie zusammen mit vier anderen Personen in einem Raum. Die Mutter muss tagelang einen Arm in Gips tragen. Der sei ihr beim Einsteigen ins Flugzeug von einem Beamten auf den Rücken gedrückt worden, berichtet die Familie.

Der Flüchtlingsrat fordert von Innenminister Beckstein, solche „Exzesse der Rücksichtslosigkeit" künftig zu vermeiden und Rücksicht auf Krankheiten und Kinder zu nehmen. Auch stelle sich die Frage der „ethischen Verantwortung von Medizinern" bei Abschiebungen. Rainer Riedl, Sprecher des Innenministeriums, weist die Vorwürfe zurück: „Die Rechtslage ist eindeutig, die Beamten haben sich angemessen verhalten." Weil sich die Frau geweigert habe, das Flugzeug zu besteigen, habe „die rechtliche Möglichkeit bestanden", unmittelbaren Zwang anzuwenden. Dabei sei die Frau nicht zu Schaden gekommen. Außerdem habe die Psychiatrie in Erlangen der Abschiebung nicht widersprochen, so Riedl, „sonst wäre sie nicht zustande gekommen" . Dem widerspricht Ruth Neumeier, stellvertretende Klinik-Leiterin: „Wir waren nicht einverstanden und haben größte Bedenken geäußert."

Von Bernd Kastner

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