Mainecho, 06.11.2009
»Flüchtlingslager machen krank«
Asyl: Während der Landtag über die Unterbringung debattiert, leben auch in Aschaffenburg 300 Menschen beengt
Aschaffenburg. Gemeinschaftsunterkunft oder Privatwohnung? Seit Monaten debattiert der Landtag über die Unterbringung von Flüchtlingen. Nach Grünen und Freien Wählern hat auch die SPD dazu einen Gesetzentwurf eingebracht, der vergangenen Dienstag diskutiert wurde. Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert die »Abschaffung der Lagerpflicht« noch vor Jahresende. Vertreter Stefan Klingbeil referierte dazu im Martinushaus.
Außen trist, innen bedrückend: Die Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber der Bezirksregierung in der Schweinfurter Straße. Der Bayerische Flüchtlingsrat nennt diese Art der Unterkunft »Lager«. Foto: Stefan Gregor
»Flüchtlingslager machen krank«, sagte Klingbeil. Thema war auch die Gemeinschaftsunterkunft in Aschaffenburg. Eingeladen hatten die Deutsch-Ausländische Gesellschaft Alzenau (Daga) und die Caritas Aschaffenburg. Die Caritas berät Migranten und übernimmt den Sozialdienst für Flüchtlinge. Asylsuchenden Zugang zu dieser Beratung zu verschaffen, mache einen Großteil der Arbeit des Bayerischen Flüchtlingsrats aus, so Klingbeil. »Ohne juristischen Beistand haben sie keine Chance, in Deutschland Asyl zu erhalten.«
Das Bild, das Klingbeil von den bayerischen Asylbewerberunterkünften zeichnet, sieht ebenso düster wie erschreckend aus. 80 Flüchtlinge auf einem Flur mit zwei Duschen und einer Waschmaschine, das Gelände abgeriegelt mit Stacheldraht und Drehkreuzschleuse. Die Würzburger Gemeinschaftsunterkunft, die größte Bayerns, ist wegen solcher Bedingungen heftig umstritten. 80 der 400 Flüchtlinge dort sind Kinder. Klingbeil fordert: »Familien mit Kindern sofort raus aus dem Lager!«, und fügt hinzu: »Ich weiß nicht, was das soll, wir sind hier nicht im Gaza-Streifen.«
Klingbeil, der sich mit dem Flüchtlingsrat den Zugang zu allen bayerischen Unterkünften erstritten hat, spricht von Traumatisierten, Kranken und Alten, von Menschen, die seit über 17 Jahren in Unterkünften leben.
Einen ähnlichen Fall gibt es in Aschaffenburg. Caritas-Mitarbeiter Winfried Katholing, der seit 16 Jahren den Sozialdienst für Flüchtlinge in der Gemeinschaftsunterkunft in der Schweinfurter Straße leistet, weiß von einer Familie, die seit über 13 Jahren dort lebt. »Sie könnten ausziehen und arbeiten, aber die Regierung von Unterfranken lehnt es ab, weil die Familie vor 13 Jahren eine falsche Identität angegeben hat.« Seither sei die Familie nicht mehr straffällig geworden. Die Bezirksregierung, nicht die Stadt, ist verantwortlich für die Unterkunft.
Schlange stehen für Beratung
Laut Katholing leben rund 300 Flüchtlinge in der ehemaligen Graves-Kaserne, darunter viele alleinstehende Männer aus Äthiopien und dem Irak. Erfreulich für Katholing: Die meisten seien anerkannt und zögen nach kurzer Zeit zu Verwandten Richtung Norddeutschland. Über die Hälfte der Asylbewerber aber ist laut dem Caritas-Mitarbeiter nur geduldet und lebt seit Jahren in der Schweinfurter Straße. In der Regel teile sich dort eine Familie zwei Zimmer. Katholing befürchtet aber Verschlechterung durch neue Zuweisungen.
Die Aschaffenburger Caritas lehnt die umgebaute Kaserne generell als Unterkunftsort ab, mit Ausnahme von Erstaufnahmen. Katholing erklärt, warum: schlechte Bausubstanz, keine getrennten Räume für Jungen und Mädchen, je vier erwachsene Männer in einem Raum. »Da ist nie Ruhe, das ist bedrückend.« Der Sozialarbeiter machte auch darauf aufmerksam, dass sich die Verbände aus Geldmangel aus der Beratung zurückziehen.
Staatliche Zuschüsse sinken, Kirchensteuern gehen zurück. Derzeit betreut Katholing allein 250 Flüchtlinge. Mitte der 90er Jahre habe er sich diese Aufgabe noch mit drei weiteren Kollegen geteilt. »Die Menschen stehen Schlange, wenn ich komme.« Stefan Klingbeil vom Flüchtlingsrat fand in der Diskussion klare Worte: »Der Staat behauptet, es gebe Betreuung, er leistet sie aber nicht.« Auch das zivilgesellschaftliche Engagement geht zurück, hat Klingbeil beobachtet. Der Diskussionsabend bestätigt dies: Nur fünfzehn Zuhörer, die meisten selbst im Sozialbereich tätig, sind ins Martinushaus gekommen.
Sonja Maurer de Aguirre