Nürnberger Nachrichten, 08.10.2010
Flüchtlingslager: Kein Ort zum Wohlfühlen
Per Landtagsbeschluss geschlossene Unterkunft ist wiedereröffnet — Zentrale Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf überfüllt
Asylbewerber in Bayern haben es schwer. Der Flüchtlingsrat fürchtet, dass sich an ihren Lebensbedingungen nichts ändern wird — trotz der im Mai angekündigten Verbesserungen.
Wer als Asylbewerber in München landet, muss sich auf eine unzumutbare Unterbringung gefasst machen. Denn es drohen Monate in einem Containerlager, das es eigentlich schon seit Ende 2008 nicht mehr gibt.
Damals beschloss der bayerische Landtag einstimmig, dass die Baracken in der Waldmeisterstraße sofort geschlossen werden müssen. Schimmel, Ratten und bauliche Mängel ließen den Politikern keine Wahl. Doch nun ist das Lager wieder offen. Nach Angaben des Bayerischen Flüchtlingsrats sind dort rund 170 Menschen untergebracht.
Das Sozialministerium will sich auf Anfrage nicht äußern. Das sei allein Sache des Regierungsbezirks, Landtagsbeschluss hin oder her. Dort bestätigt dann ein Sprecher, dass in das seit der Schließung nicht sanierte Lager „vor kurzem ein paar Betten reingestellt“ wurden. Anders sei die ständig überbelegte Münchner Erstaufnahmeeinrichtung in der Baierbrunner Straße nicht zu entlasten gewesen.
"Das ist ein Skandal"
Alexander Thal vom Flüchtlingsrat kann es nicht fassen. „Das ist ein Skandal“, sagt er. „Die Regierung ist einfach tatenlos geblieben, und das wird jetzt auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen.“ Für ihn ist die Wiederöffnung des Containerlagers in München ein weiterer Beleg dafür, dass die im Frühjahr angekündigten Verbesserungen für die rund 7500 Flüchtlinge in den Unterkünften des Freistaats nur ein Feigenblatt sind.
Begleitet von wochenlangen Hungerstreiks gegen die Essenspakete in mehreren Flüchtlingslagern einigten sich CSU und FDP im Mai auf Standards wie etwa mindestens sieben Quadratmeter Fläche je Flüchtling und eine angemessene Ausstattung der Gemeinschaftsräume. Zudem soll es Familien und Alleinerziehenden künftig gestattet werden, sofort nach Abschluss des Asylverfahrens in eine Privatwohnung ziehen zu können.
Alle übrigen Bewerber dürfen die Gemeinschaftsunterkünfte spätestens vier Jahre nach dem Verfahren verlassen.
Was sich zunächst noch ganz gut anhört, ist aber mit Einschränkungen versehen: Wer zum Beispiel Straftaten begangen hat, soll nach dem Willen der Koalition in Gemeinschaftsunterkünften bleiben müssen. Ebenso, wer nicht genug an der Klärung seiner Identität mitgewirkt hat.
Davon sind aber laut Thal die meisten Asylbewerber schon deshalb betroffen, weil sie keinen Pass haben und während ihres jahrelangen Aufenthalts oft auch gegen die rigide Residenzpflicht verstoßen haben. Im Freistaat dürfen Flüchtlinge den Landkreis erst seit kurzem verlassen, jedoch nur auf Antrag. Daneben soll es auch weiterhin bei der Versorgung mit den Essenspaketen bleiben.
Die harte Linie bleibt
Die alte Leitlinie der CSU hat sich somit in den Augen des Flüchtlingsrats kein Stück verändert: Unterbringung und Behandlung soll die Asylbewerber vor allem dazu bewegen, Deutschland so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Vom ersten Moment an.
So trifft man in der zentralen Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf Familien, die sich zu acht ein Zimmer und fünf Betten teilen müssen. In der Unterkunft in der Erlanger Kerschtstraße scheinen die Lebensbedingungen hingegen gut zu sein. Zumindest solange, bis man an die Türen klopft und zum Beispiel mit einer Frau aus Aserbaidschan spricht.
Sie zeigt ärztliche Atteste. 26 verschiedene Diagnosen reihen sich aneinander, darunter Borderline-Syndrom, eine posttraumatische Belastungsstörung, akute Suizidgefährdung und Epilepsie. Mehrere Ärzte empfehlen die sofortige Unterbringung in einer therapeutischen Einrichtung. Das wird von der Ausländerbehörde nicht bewilligt. Stattdessen kam ein Ausweisebescheid. Der Anwalt hat Widerspruch eingelegt.
ARNO STOFFELS
Quelle: Nürnberger Nachrichten