Abendzeitung München, 19.05.2008

Flüchtlinge in München: "Hier sterbe ich jeden Tag!"

Das Asylbewerberheim Rosenheimer Straße: Die EU hat die Zustände im vergangenen Jahr angeprangert. Foto: privat
Die Toiletten, Duschen und die Küchen sind verdreckt. Auf den Klos gibt es keine Klobrillen, in der Küche werden Lecks in der Spüle mit Plastiksäcken gestopft. Müll und Schimmel haben sich ausgebreitet. Erschütternde Bilder hat die AZ aus Münchner Flüchtlingsunterkünften zugespielt bekommen. Doch die Regierung ist sich keiner Schuld bewusst.

Die Wut unter den Flüchtlingen ist groß. „Deutschland predigt täglich, dass China oder Birma die Menschenrechte einhalten sollen. Aber tatsächlich gibt es hier keine Menschenrechte“, kritisiert Uche Akpulu vom bayerischen Flüchtlingsrat. Der 41-jährige Nigerianer floh vor vier Jahren aus Nigeria nach Deutschland, weil er in seinem Heimatland verfolgt wurde. Bis zum vergangenen Jahr lebte er in einer Gemeinschaftsunterkunft. Als er als Flüchtling anerkannt wurde, zog er sofort aus. Über das Leben im Container sagt er: „Es ist zermürbend. Viele Flüchtlinge werden krank – psychisch und physisch. Manche werden zu Alkoholikern. Die Unterkünfte werden eingerichtet, um die Menschen zu isolieren. Man fühlt sich wie ein Gefängnis-Insasse.“
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Am Samstag gingen Flüchtlinge in München auf die Straße: Sie protestierten gegen den Zustand ihrer Wohncontainer. Unterstützung bekommen sie von den Grünen im Landtag, der Caritas und Flüchtlingsorganisationen wie der „Karawane“ oder dem Flüchtlingsrat. Die Regierung von Oberbayern, zuständig für die Flüchtlingsunterkünfte, widerspricht: Die Zustände in den Unterkünften seien „keineswegs katastrophal“.

In Bayern gibt es 144 Gemeinschaftsunterkünfte, in denen 8800 Menschen leben. Die AZ hat Flüchtlinge in München besucht. Sie wollen reden, ihre Namen aber nicht in der Zeitung lesen. Sonst gibt es Probleme, sagen sie.

Riem:

Einen geregelten Putzdienst gibt es hier derzeit nicht, berichten die Bewohner. Die Folge: Toiletten sind oft verstopft, Klobrillen gibt es nicht. Ein Fenster ist kaputt. Ein Flüchtling erzählt, dass er sich dem Heimleiter als Putzkraft angeboten habe. Aber der reagiere nicht. Im Herbst soll die Unterkunft geschlossen werden. Dann werden die Bewohner auf andere Unterkünfte in Bayern verteilt. Eine Irakerin hat Angst: Ihre Kinder gehen in München zur Schule, jetzt kann es dazu kommen, dass sie schon wieder in eine andere Stadt müssen. Ein Sudanese sagt: „Ich darf hier nicht arbeiten und bin den ganzen Tag in der Unterkunft. Diese Warteschleife macht mich fertig.“

So sieht die Küche in der Gemeinschaftsunterkunft in Riem aus. Foto: privat
So sieht die Küche in der Gemeinschaftsunterkunft in Riem aus. Foto: privat

Sankt-Veit-Straße:

Die Duschen sind dreckig, die Klos auch. In den Gängen steht Müll. Geputzt werde hier, aber nicht sehr gründlich, sagt ein Asylbewerber aus dem Kongo. „Hier ist kein Krieg wie im Kongo“, erzählt der Mann, „aber das Leben hier in der Unterkunft ist scheiße.“ Immerhin ist ein Teil der Container neu. „Diejenigen, die dort wohnen, haben Glück gehabt. Ich nicht“, sagt der Kongolese.

Rosenheimer Straße:

Als die AZ zu Besuch kommt, werden gerade die Gänge mit einem Hochdruckreiniger abgespritzt. Maler pinseln die Wände mit Farbe an. Für den heutigen Montag hat sich ein Kamerateam angesagt, die Kulisse muss stimmen. „Seit Neuestem wird auch jeden Tag geputzt. Aber das geht nur so lange, bis das Interesse an der Unterkunft nachlässt“, sagt ein Kurde. Im vergangenen Jahr hatte der Menschenrechtskommissar des Europarats die Staatsregierung wegen der untragbaren Zustände in der Unterkunft gerügt. Ein 17-jähriges irakisches Mädchen erzählt: „Manchmal kommen Grattler von draußen rein und benutzen die Toiletten und die Duschen. Früher hat keiner sauber gemacht.“ Im Sommer liege immer ein schrecklicher Gestank über dem Gelände. Wenn die Toiletten mal wieder verstopft sind, verrichten viele Bewohner ihr Geschäft aus dem Fenster, sagt das Mädchen.

Das Asylbewerberheim Rosenheimer Straße: Die EU hat die Zustände im vergangenen Jahr angeprangert. Foto: privat
Das Asylbewerberheim Rosenheimer Straße: Die EU hat die Zustände im vergangenen Jahr angeprangert. Foto: privat

Waldmeisterstraße:

Die Unterkunft im Niemandsland von Feldmoching gehört nach Auffassung der Grünen zu den schlechtesten in Bayern. Auch weil sie in der Nähe eines Bordells liege und viele Frauen aus dem Lager oft von Freiern angesprochen werden. Aber auch drinnen sind die Zustände dramatisch: „Meine Kinder sind schon durch den Schimmel in den Zimmern krank geworden“, sagt eine Frau aus Aserbaidschan. Zu viert lebt die Familie in einem klitzekleinen Zimmer. Eine irakische Mutter mit fünf Kindern erzählt, dass oft Ratten unter den Containern hervorkriechen. Vor einigen Tagen hätten Kleinkinder mit einer toten Ratte gespielt. Im Sommer wird es hier brütend heiß. Die Enge in der Unterkunft führt zu Aggressionen: „Manchmal kommt die Polizei hier nachts fünfmal her“, sagt die Irakerin. Sie ist völlig verzweifelt – und will sogar zurück in den Irak, wo immer noch Krieg herrscht. „Dort werde ich sterben und nie wieder aufwachen. Hier sterbe ich jeden Tag – und wache am nächsten Morgen wieder auf.“

Was sagt die Regierung von Oberbayern zu den Vorwürfen? „Für Reinigungsarbeiten sind in allen Gemeinschaftsunterkünften die Bewohner selbst zuständig“, erklärt ein Sprecher. Er kritisiert: „Es ist einigen Bewohnern nur schwer zu vermitteln, dass Küchen und Sanitärräume von den Benutzern gereinigt werden müssen.“

Die betroffenen Unterkünfte stellten „einfache Unterkünfte dar, die dem vorübergehenden Wohnen der Flüchtlinge dienen sollen. Die Verhältnisse sind jedoch keineswegs katastrophal.“ Der Sprecher erwähnt nicht, dass Flüchtlinge teilweise bis zu sechs Jahre und länger in den Unterkünften leben. Immerhin: In der Waldmeisterstraße soll es jetzt ein zusätzliches Zimmer für Kinder und Jugendliche geben.

Die Regierung betont, dass die Asylbewerberzahlen rückläufig seien und deshalb Unterkünfte geschlossen werden müssten. Aber warum können nicht die übrigen Flüchtlinge in richtigen Häusern untergebracht werden? Dazu erklärt der Sprecher: „Auf Containerunterkünfte können wir jedoch deshalb nicht verzichten, weil die meisten Asylbewerber im Großraum München untergebracht werden wollen und dort andere geeignete Unterkünfte nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen.“

Renate Ackermann, asylpolitische Sprecherin der Grünen, lässt das nicht gelten: „Die Flüchtlingszahl geht zurück. Das wäre die Chance gewesen, schlechte Unterkünfte zu schließen“, sagt sie. „Doch stattdessen werden die Flüchtlinge in andere baufällige Container verlegt.“ Das Leben auf engem Raum wirke sich sofort aus: „Diese Menschen sind sowieso schon traumatisiert durch ihre Flucht. Die Traumatisierung nimmt durch die Enge in den Containern zu.“

Die Grünen haben jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem es Ausnahmegenehmigungen für Ältere, Schwangere und Traumatisierte geben soll, nicht in Gemeinschaftsunterkünften leben zu müssen. Doch ob sich für die Flüchtlinge in Bayern wirklich etwas ändert? Ackermann selbst hat Zweifel: Letztens habe ihr jemand aus dem Innenministerium über die Flüchtlinge gesagt: „Die wollen wir nicht integrieren.“

Von Volker ter Haseborg

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