Frankfurter Rundschau, 24.11.2010
Flüchtlinge im Hungerstreik
Die Essenspakete in der Augsburger Gemeinschaftsunterkunft in der Neusässer Straße bleiben unangetastet, rund 250 Flüchtlinge sind im Hungerstreik. Unbefristet. Der Leidensdruck ist zu groß geworden.
Die Kisten mit den Lebensmitteln werden nicht mehr abgeholt. Schon seit Montag nicht mehr.. „Die Leute sind vollkommen frustriert“, sagt Stefan Klingbeil vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Und wenn man in die Unterkünfte reinschaue, wisse man warum: beengte Unterbringung, Baumängel, hygienisch unzumutbare Zustände, Probleme mit Mäusen. Kakerlaken und Krankheiten.
Dabei hatte der Bayerische Landtag im Frühjahr beschlossen, dass es für Flüchtlingsunterkünfte in Zukunft humanitäre Leitlinien geben soll. Diese sehen mindestens sieben Quadratmeter Wohnfläche für jeden Bewohner, einen abschließbaren Schrank und einen festen Platz am Tisch vor. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) hatte erklärt, Flüchtlinge im Freistaat „nach zeitgemäßen humanitären Maßstäben“ unterzubringen zu wollen. „Doch es bewegt sich gar nichts“, sagt Klingbeil.
Das Sozialministerium verweist im Augsburger Fall auf die Bezirksregierung von Schwaben. „Die Leitlinien gelten und sollen für Neubauten und im Rahmen von Sanierungen bei älteren Gebäuden auch umgesetzt werden“, sagt eine Ministeriumssprecherin. Bei der Regierung von Schwaben ist eine Sanierung der Augsburger Unterkunft allerdings derzeit nicht geplant. Zumal der Stadtrat eine Schließung der Unterkunft in der ehemaligen Flak-Kaserne beschlossen hat.
Ein Sprecher räumt ein, dass es sich „um eine etwas ältere Gebäudesubstanz“ handele. Man sei aber bemüht, einmal am Tag durch die Räume zu gehen, Beschwerden nachzugehen und Reparaturen umgehend zu erledigen. „Mit Schönheitsreparaturen ist es hier aber nicht getan“, sagt Klingbeil. Den Flüchtlingen geht es nicht nur um ihre Privatsphäre, Hygiene und menschenwürdiges Wohnen.
Sie verlangen zudem die Abschaffung der Residenzpflicht, eine bessere medizinische Versorgung und das Recht zu arbeiten. Knackpunkt der Essensverweigerung sind allerdings auch die Pakete mit den Lebensmitteln selbst. Schon lange wollen die Flüchtlinge in den bayerischen Lagern Bargeld. Bereits im Frühjahr hatten in Augsburg Flüchtlinge deswegen die Pakete boykottiert.
Auch im oberbayerischen Denkendorf sind derzeit 19 Bewohner im Hungerstreik, zwei von ihnen mussten vorübergehend in einem Krankenhaus behandelt werden. Sie sagen: Wir sind keine Kinder mehr, wir können unser Essen selbst kaufen. Zudem würden einige die europäische Kost nicht vertragen. Sie wollten, dass man sie „mit Anstand und Respekt“ behandele, und betonen: „Wir machen weiter.“
Eine Notversorgung und Geldspenden der Flüchtlingsinitiative in Augsburg lehnen sie ab. Der Flüchtlingsrat weiß um die Gefährlichkeit einer solchen Aktion und betont: „Das sind wilde Streiks, die haben die Flüchtlinge selbst initiiert, wir waren auch überrascht davon.“
„Das ist menschenunwürdig“
Die Flüchtlinge mit Sachleistungen abzuspeisen, „ist menschenunwürdig“, kritisiert der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth. Dem Freistaat macht er schwere Vorwürfe: „Es verletzt die Menschenwürde, wie Bayern die Asylbewerber behandelt.“ Grundsätzlich plädieren die Grünen für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Einen entsprechenden Gesetzentwurf haben sie in den Bundestag eingebracht. Die jetzige Regelung sei auch deshalb kontraproduktiv, weil es Asylbewerbern im ersten Jahr die Arbeitsaufnahme verbiete, betont Kurth.
Nicht überall in Deutschland müssen Flüchtlinge essen, was in die Kiste kommt. Die Auslegung des Asylbewerberleistungsgesetzes werde sehr unterschiedlich gehandhabt, weiß Klingbeil vom Flüchtlingsrat. Selbst in Baden-Württemberg könnten die Landkreise selbst entscheiden, ob sie Bargeld auszahlten, was rund 40 Prozent auch täten.
Auch die Residenzpflicht, die in Bayern sehr strikt gelte, sei anderswo wesentlich lockerer. Einzig Thüringen fahre einen vergleichsweise strikten Kurs wie Bayern. „Hier gibt es auch kein Geld, dafür aber Dschungelcamps weit abgeschnitten von der Infrastruktur“, sagt Klingbeil.
Für Bayern findet der Flüchtlingsrat: „Jetzt ist die Staatsregierung am Zug.“ Klingbeil sagt, es sei nun an der Zeit, dass sich Ministerin Haderthauer baldigst auf den Weg nach Augsburg mache „und klarmacht, was sie vorhat“. Laut Ministerium ist ein solcher Besuch derzeit jedoch nicht geplant
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