Südwest Presse, 25.11.2010
Flüchtlinge im Hungerstreik
Asylbewerber werfen Bayern schlechte Unterbringung und Bevormundung vor
In Augsburg sind 250 Asylbewerber in den Hungerstreik getreten. Sie fordern Geld statt Lebensmittelpaketen - und eine bessere Unterkunft.
IRIS HILBERTH .
Augsburg Die Kisten mit den Lebensmitteln werden nicht mehr
abgeholt. Die Essenpakete in der Augsburger Gemeinschafsunterkunft in
der Neusässer Straße bleiben unangetastet, rund 250 Flüchtlinge sind im
Hungerstreik. Unbefristet. "Die Leute sind vollkommen frustriert", sagt
Stefan Klingbeil vom Bayerischen Flüchtlingsrat: beengte Unterbringung,
Baumängel, hygienisch unzumutbare Zustände, Probleme mit Mäusen und
Kakerlaken. Dabei hatte der Bayerische Landtag im Frühjahr beschlossen,
dass es Leitlinien geben soll: mindestens sieben Quadratmeter Wohnfläche
pro Bewohner, abschließbarer Schrank, ein fester Platz am Tisch.
Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) hatte erklärt,
Flüchtlinge "nach zeitgemäßen humanitären Maßstäben" unterzubringen.
"Doch es bewegt sich gar nichts", sagt Klingbeil. "Die Leitlinien gelten
und sollen für Neubauten und im Rahmen von Sanierungen bei älteren
Gebäuden auch umgesetzt werden", sagt eine Sprecherin des
Sozialministeriums. Bei der Regierung von Schwaben ist eine Sanierung
der Augsburger Unterkunft nicht geplant. Zumal der Stadtrat ohnehin ihre
Schließung beschlossen hat. Ein Sprecher räumte ein, dass es sich "um
eine etwas ältere Gebäudesubstanz" handele.
Privatsphäre, Hygiene und menschenwürdiges Wohnen ist dabei nur
eine der Forderungen der protestierenden Flüchtlinge. Auch die
Abschaffung der Residenzpflicht, eine bessere medizinische Versorgung
und das Recht zu arbeiten, zählen dazu. Knackpunkt der
Essensverweigerung sind allerdings die Pakete mit den Lebensmitteln
selbst. Schon lange gibt es die Forderung, statt der Sachleistung
Bargeld auszuzahlen. Auch in Denkendorf befinden sich 19 Bewohner im
Hungerstreik, zwei von ihnen mussten vorübergehend ins Krankenhaus. Sie
sagen: Wir sind keine Kinder mehr, wir können unser Essen selbst kaufen.
Zudem würden einige die europäische Kost nicht vertragen. Sie wollten,
dass man sie "mit Anstand und Respekt" behandele und betonen: "Wir
machen weiter." Eine Notversorgung und Geldspenden der
Flüchtlingsinitiative in Augsburg lehnen sie ab.
Die Auslegung des Asylbewerberleistungsgesetzes werde in
Deutschland sehr unterschiedlich gehandhabt, weiß Klingbeil. Auch die
Residenzpflicht, die in Bayern sehr strikt gelte, sei anderswo
wesentlich lockerer. Selbst in Baden-Württemberg könnten die Landkreise
selbst entscheiden, ob sie Bargeld auszahlten, was rund 40 Prozent auch
täten. Einzig Thüringen fahre einen ähnlich strikten Kurs wie Bayern.
"Hier gibt es auch kein Geld, dafür aber Dschungelcamps weit
abgeschnitten von der Infrastruktur", sagt Klingbeil. Für Bayern findet
der Flüchtlingsrat: "Jetzt ist die Staatsregierung am Zug." Klingbeil
sagt, es sei nun an der Zeit, dass sich Ministerin Haderthauer baldigst
auf den Weg nach Augsburg mache "und klar macht, was sie vorhat". Laut
Ministerium ist ein Besuch derzeit nicht geplant.