Nürnberger Nachrichten, 14.07.2012

Flucht in die Freiheit endete in tristem Lagerleben

Iranische Asylbewerber protestieren nach Würzburger Aktion jetzt auch in Bamberg und Regensburg

Die Protestierer kleben Bilder von der Grünen Revolution auf ein Transparent, um Passanten in Regensburg zu erklären, warum sie hier sind. Foto: Kastenhuber


Iranische Flüchtlinge protestieren seit Monaten gegen die Lebensbedingungen von Asylsuchenden. Die Aktion, die im März in Würzburg begann, hat sich inzwischen auf Aub, Bamberg und Regensburg ausgeweitet.

Tristes, graues Nieselwetter. Die Passanten in der Regensburger Innenstadt verstecken sich hinter Schirmen und erledigen ihre Wochenendbesorgungen im Eiltempo. Kaum jemand nimmt Notiz von den mit einer blauen Regenplane abgedeckten zwei Gartenpavillons, in denen hier seit Mittwoch sechs Männer campieren.

Ali Hedayatzadeh ist einer von ihnen. Der 23-Jährige mit der Ballonmütze sieht müde aus. Ein leicht muffiger Geruch steigt aus seiner Kleidung. Auf den drei Feldbetten, die unter einem der Pavillons stehen, wechseln sich der iranische Student und seine fünf Landsleute stundenweise mit dem Schlafen ab. Wirklich fit ist man da schon nach drei Tagen nicht mehr.

Trotzdem fühlt sich Ali Hedayatzadeh in dem kleinen, improvisierten Protestcamp in Regensburgs Altstadt wohler als in der Chamer Asylbewerberunterkunft, in der er seit acht Monaten zu Hause ist. „Weil wir jetzt endlich was tun“, sagt er. Im Chamer Heim gibt es nur eine Beschäftigung: warten. In ihrem Pavillon haben die Flüchtlinge einige Fotos aus Asylbewerberheimen aufgehängt. Bilder von katastrophal vergammelten Sanitär- und Küchenanlagen, die einen Eindruck davon vermitteln, wie trostlos in solcher Umgebung das monatelange, manchmal jahrelange Warten auf den Asylbescheid sein muss.

Die „Abschaffung der Lagerpflicht“ und die „Beschleunigung der Asylverfahren“ sind denn auch zwei der sechs Forderungen, die von den iranischen Flüchtlingen aufgestellt wurden. Außerdem verlangen sie die Abschaffung der ungeliebten Essenspakete, die Aufhebung der Residenzpflicht, die ihnen ohne Behördenerlaubnis das Verlassen ihres Aufenthaltsortes verbietet, die Gewährung von deutschen Sprachkursen sowie die Aufhebung des Arbeitsverbotes.

Protest in Würzburg schien zunächst in Leere zu laufen

Es ist der gleiche Forderungskatalog, mit dem Ende März eine Gruppe von iranischen Flüchtlingen zum Dauerprotest in der Würzburger Innenstadt angetreten war. Die Aktion in Unterfranken erregte öffentliches Aufsehen, als die Asylbewerber gemeinsam in den Hungerstreik traten. Auf viel Sympathie und Verständnis stießen die Demonstranten zunächst sowohl in der Bürgerschaft als auch im Rathaus der Stadt. Nur politisch erreichten sie nichts. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer verweigerte einen Besuch in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft. Der Protest schien ins Leere zu laufen.

Die Flüchtlinge verschärften schließlich ihren Protest. Sieben von ihnen nähten sich die Lippen zu. Ein drastischer Schritt, den viele Würzburger Bürger als schockierend und unzumutbar empfanden. Auch wenn das Verwaltungsgericht die Zulässigkeit der Aktion bestätigte, bröckelte der Rückhalt. Andererseits konnten sich die Demonstranten jetzt über erste Erfolge freuen. Das Bundesamt für Migration hatte einige der zuvor abgelehnten Asylanträge der Beteiligten wieder aufgenommen und schließlich fast alle positiv entschieden. Die Protestierer durchtrennten daraufhin die Fäden an ihren zusammengenähten Lippen.

Im Regensburger Demo-Camp wurde bisher auf Hungerstreiks und andere spektakuläre Schritte verzichtet. „Unser Protest befindet sich auf der ersten Stufe“, sagt Ali Hedayatzadeh. „Wir diskutieren derzeit in der Gruppe, wie es weitergehen soll.“ Zwei Wochen lang war der junge Mann auch bei der Würzburger Aktion dabei und hatte damit ganz bewusst gegen seine Residenzpflicht verstoßen. Er hat erlebt, wie die Solidarität mancher deutscher Unterstützer endete, als sich einige seiner Freunde den Mund zunähten. Als „Erpressungsmethode“ wurde dieser Schritt von vielen kritisiert.

Selbst aus den Reihen des Bayerischen Flüchtlingsrates, einer Dachorganisation verschiedenster Unterstützergruppen, kamen zunächst eher distanzierte Stellungnahmen. Alexander Thal, einer der Sprecher des Flüchtlingsrats, relativiert dies inzwischen. „Das war zwar ein sehr massives Mittel des Protestes, aber wir haben es nicht verurteilt“, sagt er. Solch eine Selbstverstümmelung müsse vor dem Hintergrund der dramatischen Lebenssituation der iranischen Flüchtlinge gesehen werden. „Ich und Sie — wir wohnen nicht in einem Lager. Wir wissen nicht, wie sich das anfühlt.“

Dass der aktuelle Protest gegen den Umgang mit Asylsuchenden fast ausschließlich von Iranern getragen wird, hat laut Thal vor allem zwei Gründe: „Das sind zum einen sehr hoch qualifizierte, fitte Leute. Und außerdem waren die meisten von ihnen an der Grünen Revolution im Iran beteiligt. Auch wenn die grandios gescheitert ist, haben sie dabei wichtige Erfahrungen gemacht, wie man Protest organisiert.“

Monatelange Isolation in der Gemeinschaftsunterkunft

Auch Ali Hedayatzadeh war als junger Student der Elektrotechnik am schließlich niedergeschlagenen Aufstand nach den iranischen Präsidentenwahlen im Sommer 2009 beteiligt. Mehrere Wochen saß er danach im Gefängnis. Als ihm wegen politischer Aktivitäten erneut Haft drohte, floh er über die Türkei, Griechenland und Italien nach Deutschland. Die monatelange Isolation in der Gemeinschaftsunterkunft drohte ihn zu zermürben. Er möchte, dass die deutsche Öffentlichkeit versteht, warum er hierhergeflohen ist. Warum er Eltern, Verwandte und Freunde verlassen hat. Nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern aus Angst ums nackte Leben. „Ich habe Sicherheit gesucht.“ Aber nicht in einem Lager.

Ali Hedayatzadeh möchte „als Mensch unter Menschen leben“. Das sei die Hauptbotschaft seines Protestes in Regensburg. Und der soll noch lange gehen. „Ich bin ein Kämpfer.“

Hans-Peter Kastenhuber

Quelle: Nürnberger Nachrichten

Zurück