Neues Deutschland, 20.06.2012
Flucht in die Armut
Am heutigen Weltflüchtlingstag steht der deutsche Umgang mit Asylsuchenden vor Gericht
»Italienische Rettungseinheiten haben am Dienstag nach einem Schiffbruch vor der apulischen Südspitze acht vermisste Flüchtlinge gesucht. Ein mit einem Dutzend Nordafrikanern besetztes Boot war sechs Seemeilen vor der Küste untergegangen«, meldete am Dienstag die dpa unter Berufung auf eine italienische Agentur. Fast täglich laufen solche Nachrichten über den Ticker.
Wie viele Menschen unbemerkt beim Versuch sterben, auf der Flucht vor Gewalt, Hunger und den Folgen des Klimawandels irgendwie nach Europa zu gelangen, weiß niemand. Schätzungen für das Jahr 2011 schwanken zwischen 1500 Toten im gesamten Mittelmeer (UNHCR) und 2200 Toten allein in der Straße von Sizilien (Italienischer Flüchtlingsrat).
Diejenigen, die es auf das Gebiet der Europäischen Union schaffen, die sich mit Hilfe der paramilitärischen Grenztruppe Frontex abzuschirmen versucht, werden sofort wieder abgeschoben oder landen in Lagern. Auch in der Bundesrepublik, wo Flüchtlinge nur selten dezentral in eigenen Wohnungen untergebracht werden. Hinzu kommen die zahlreichen Sondergesetze für Asylsuchende, wie die Residenzpflicht, die nur in einigen Bundesländern gelockert, nicht jedoch abgeschafft wurde, oder das Asylbewerberleistungsgesetz.
Heute wird vor dem Bundesverfassungsgericht darüber verhandelt, ob dieses Gesetz verfassungsgemäß ist, das Flüchtlingen nicht einmal den normalen Hartz-IV-Satz zugesteht. Laut Deutschem Kinderhilfswerk erhalten zum Beispiel sechsjährige Flüchtlingskinder derzeit Leistungen in Höhe von 132 Euro pro Monat und damit 47 Prozent weniger, als einem gleichaltrigen Kind mit deutschem Pass nach Hartz IV zusteht.
Weltweit gibt es über 42 Millionen Flüchtlinge und nur ein Bruchteil davon gelangt in reiche Industrieländer wie Deutschland. 80 Prozent der Flüchtlinge werden von Entwicklungsländern aufgenommen. »Es sind oft die Menschen in bettelarmen afrikanischen Ländern, die die größte Solidarität mit den Opfern von Kriegen und Verfolgung zeigen«, so Oliver Müller, Leiter von Caritas international.
Markus Drescher
Quelle: Neues Deutschland