Augsburger Allgemeine, 24.04.2009

Experten gegen Bevormundung von Flüchtlingen

München. Gute zwei Zentimeter misst der Stapel der Stellungnahmen zu einem Thema, das viele Fachleute empört: die Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Bayern. Mehrere Ausschüsse des Bayerischen Landtags hatten dazu gestern eine Anhörung einberufen. Der Grundtenor der Experten: Die bisherigen Gemeinschaftsunterkünfte sollten abgeschafft und die Flüchtlinge stattdessen in Privatwohnungen untergebracht werden, die Residenzpflicht sowie das sogenannte Sachleistungsprinzip sind zu überdenken.

Pro  Monat  fallen laut Oliver Bloeck vom Familienministerium je Leistungsbezieher Kosten von 675 Euro an. 230 Euro davon entfielen auf die Unterbringung - ein Wert, der einigen als zu niedrig angesetzt erschien. „Eine Gemeinschaftsunterkunft ist die teuerste Lösung, die wir vorhalten können“, sagte etwa Rudolf Stummvoll vom Münchner Sozialreferat.

Ähnlich sieht das auch Frank Stein, der aus Leverkusen in Nordrhein-Westfalen angereist war. Dort werden die Flüchtlinge bereits seit längerem in Privatwohnungen und nur noch in Ausnahmefällen in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. „Wenn man ehrlich hinsieht, bedeuten die Gemeinschaftsunterkünfte einen enormen Kostenaufwand“, sagte er. Für die Stadt seien Privatwohnungen die deutlich wirtschaftlichere Variante.

Neben den finanziellen sind es vor allem menschliche Aspekte, die aus Experten-Sicht gegen Gemeinschaftsunterkünfte sprechen: „Sie machen krank. Die Menschen dort nehmen körperlich und psychisch Schaden. Das sage ich nicht als Einzelperson, sondern als Arzt“, erklärte August Stich von der missionsärztlichen Klinik in Würzburg. Auch wenn bei dem Gesetz die Rückführung der Flüchtlinge im Vordergrund stehe, sei der Versuch, sie durch schlechte Behandlung abzuschrecken, nach allem, was sie bereits durchgemacht hätten, wirkungslos.

„Es kommen frische Menschen voller Elan und Tatendrang bei uns an, und nach einigen Jahren der Unterbringung in Bayern haben wir zerbrochene Menschen“, sagte Hubert Heinhold, Rechtsanwalt für Asylbewerber. Anstatt die Flüchtlinge in ein Versorgungssystem zu zwingen, das sie zur Untätigkeit verdammt, sollten sie zur Eigeninitiative animiert werden. „Wir müssen zurückkehren zu dem Grundsatz, dass Selbsthilfe vor Staatshilfe geht“, so Heinhold. Laut Stummvoll kehrten die Flüchtlinge, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen dürften, viel eher wieder in ihr Ursprungsland zurück.

Weitere Kritik richtete sich gegen das Sachleistungsprinzip: „Warum bekommen die Leute in Hessen Geld und wir nicht?“, fragte etwa der Äthiopier Bahiru Kum Felleke, der seit neun Jahren in der Gemeinschaftsunterkunft in Nördlingen (Kreis Donau-Ries) lebt. Häufig seien die Lebensmittel, die die Flüchtlinge zweimal pro Woche bekommen, schon verdorben.

Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat sprach von einem „irrsinnigen System“ sowie einer „Verschwendungsmaschinerie“, die zudem in die Intimsphäre der Menschen eingreife.

Quelle: Augsburger Allgemeine Zeitung

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