Mittelbayerische Zeitung, 17.07.2012

Exil-Iraner treten in Hungerstreik

Die iranischen Flüchtlinge setzen auf das Bundesverfassungsgericht. Zumindet bis zur Verhandlung am Mittwoch verzichten sie in ihrem Camp auf dem Regensburger Neupfarrplatz auf Nahrung. Foto: altrofoto.de


Unter die Stände mit den letzten Erdbeeren und den ersten Pilzen der Saison haben sich auf dem Regensburger Neupfarrplatz zwei Faltpavillons gemischt, die gerne als Unterstand für Feiern aller Art hergenommen werden. Wer sich ihnen nähert, bemerkt schnell, dass es hier nichts zu feiern gibt: Fotos zeigen Menschen mit einem Strick um den Hals, kurz vor ihrer Hinrichtung.

Die Todesstrafe ist nur einer der Auswüchse staatlicher Gewalt im Iran. Schläge, Repressalien und Haftstrafen für Menschen, die sich gegen das Mullah-Regime stellen, sind an der Tagesordnung. Houmer Hedayatzadeh, Student der Elektrotechnik an der Universität von Mashad und regimekritischer Aktivist, hielt es eines Tages nicht mehr aus. Er flüchtete nach Deutschland und beantragte Asyl. Dann kam die große Enttäuschung. Das Leben in den Sammelunterkünften für Asylbewerber erinnerten ihn an Zustände wie in den Gefängnissen seiner Heimat, sagt Hedayatzadeh bei einer Pressekonferenz am Montag im Protestcamp.

Aufsehenerregender Protest

Deshalb haben sich er und vier seiner Landsleute entschlossen, von der deutschen Politik publikumswirksam Verbesserungen zu fordern. Bereits seit vergangenen Mittwoch können sich Passanten in dem Protestcamp mitten in der Regensburger Altstadt über die Zustände im Iran und die in den Asylbewerberheimen informieren. Seit Montagmorgen nehmen die fünf Exil-Iraner im Alter von 23 bis 32 Jahren keine Nahrung mehr zu sich. Der Hungerstreik soll mindestens bis Mittwoch dauern, wenn das Bundesverfassungsgericht darüber verhandelt, ob die Regelleistungen für Asylbewerber dem Grundgesetz entsprechen. Hungerstreiks von Exil-Iranern soll es auch in vier weiteren Städten geben, darunter in Würzburg, wo sich iranische Asylbewerber kürzlich aus Protest gegen die Zustände in den Sammelunterkünften den Mund zunähen ließen.

Houmer Hedayatzadeh und seine Mitstreiter fühlen sich durch die Residenzpflicht der Asylbewerber im jeweiligen Bezirk der Freiheit beraubt, die sie in ihrem Asylland zu finden hofften. Die Zustände in den Sammelunterkünften setzen ihnen ebenso zu wie das teilweise jahrelange Warten auf die Entscheidung über ihren Asylantrag. „Es ist zynisch, Menschen solchen Bedingungen auszusetzen“, sagt der Student.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts berät am Mittwoch über diese Frage. Die Richter wollen auch entscheiden, ob die Sätze für geduldete Ausländer sich überhaupt von Leistungen für Hartz-IV-Empfänger unterscheiden dürfen. In einer ersten Stellungnahme verwiesen die Richter bereits darauf, dass die Menschenwürde für alle unantastbar sei, „nicht nur für Deutsche“.

Kritik von Verbänden und Kirchen

Kritiker wie Wohlfahrtsverbände, Pro Asyl, die Kirchen oder amnesty international (ai) prangern das schon lange an. „Die seit 1993 geltenden Summen gewährleisten kein menschenwürdiges Leben“, sagt Katharina Spieß, die amnesty international in der Verhandlung vertreten wird. „Darüber hinaus verletzt die Regelung international garantierte Kinderrechte. In Deutschland leben über 24.000 Kinder und Jugendliche von Zuwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Sie bekämen damit über 30 Prozent weniger als Kinder, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch erhalten“.

In einigen Bundesländern bekommen Asylsuchende über Jahre hinweg einen Großteil der Leistungen zudem in Form von Lebensmittelpaketen oder Wertgutscheinen. „Diese Praxis verschärft die Situation der Betroffenen noch“, ergänzt Spieß.Das bayerische Sozialministerium als Aufsichtsbehörde über die Sammelunterkünfte wollte sich auf Anfrage nicht zum Hungerstreik der Iraner äußern. Ein Sprecher verwies aber darauf, dass in Bayern bereits sehr viele Asylbewerber aufgrund von Ausnahmegenehmigungen in Privatwohnungen untergebracht seien. Durch den „bayerischen Asylkompromiss“ könnten jetzt vor allem abgelehnte Familien in der Regel aus den Gemeinschaftsunterkünften ausziehen. Alle übrigen abgelehnten Asylbewerber dürfen vier Jahre nach Abschluss ihres Erstverfahrens aus der Sammelunterkunft ausziehen.

Reinhold Willfurth

Quelle: Mittelbayerische Zeitung

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