Saarbrücker Zeitung, 26.10.2012

Europas ungeliebte Bürger


Ein bisschen merkwürdig ist es schon, was sich am Mittwoch in Berlin abgespielt hat: Da wird neben dem Reichstag ein Denkmal eingeweiht für die 500 000 Sinti und Roma, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Bundespräsident Joachim Gauck ist gekommen und auch die Bundeskanzlerin. Angela Merkel weist in ihrer Rede darauf hin, dass Sinti und Roma auch heute wieder unter Ausgrenzung und Ablehnung leiden. Aus dem Kreis der fast 1000 Gäste ruft ihr am Schluss eine Stimme entgegen: "Und was ist mit den Abgeschobenen, Frau Merkel? Das sind auch Roma, die wollen hierbleiben."

Einen Tag später veröffentlicht "Die Welt" ein Interview Innenminister mit Hans-Peter Friedrich (CSU). Er fordert darin schärfere Regeln für Asylbewerber aus Serbien und Mazedonien. Viele der Asylbewerber aus diesen Ländern gehören zur Minderheit der Roma. "Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, soll künftig eine abgesenkte Barleistung erhalten", sagt Friedrich. Zudem soll erheblich schneller als bisher über Asylanträge entschieden werden. Ein Schnellverfahren wie in der Schweiz, wo binnen 48 Stunden über die Anträge entschieden wird, sei zwar kaum möglich. "Aber Abwicklung innerhalb kürzest möglicher Zeit bleibt das Ziel."

Hintergrund der Diskussion ist ein Anstieg der Zahl von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien. "Das kann so nicht sein und das kann so nicht bleiben", betonte Friedrich gestern im ARD-"Morgenmagazin".

Der CSU-Politiker forderte die Regierungen von Serbien und Mazedonien auf, deren Lebensbedingungen zu verbessern. "Diese Länder müssen dafür sorgen, dass die Menschen in ihren Ländern ordentliche Verhältnisse vorfinden, auch nicht diskriminiert werden", sagte er. "Beide Länder wollen ja in die Europäische Union, und ich denke, da kann man auch einiges von ihnen verlangen." Andernfalls drohte er erneut mit der Wiedereinführung der Visumspflicht für Serben und Mazedonier.

Für die Opposition jedenfalls waren Friedrichs Aussagen ein gefundenes Fressen. "Erst gestern haben wir das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma eingeweiht", erklärte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rüdiger Veit. "Und einen Tag später betreibt Innenminister Friedrich erneut Wahlkampf auf dem Rücken serbischer und mazedonischer Asylbewerber." Er wünsche sich, "dass sich der Innenminister seiner christlich-sozialen Werte erinnert". Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, kritisierte, Friedrich bediene mit seinen Aussagen weit verbreitete rassistische Vorurteile gegen Sinti und Roma.

Die Hilfsorganisation Pro Asyl bezeichnete Friedrichs Forderungen als verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil zum Asylwerberleistungsgesetz deutlich gemacht, dass die Menschenwürde auch für Asylsuchende und Migranten gelte.

Deutschland habe gerade wegen seiner Geschichte auch heute noch "eine besondere Verpflichtung gegenüber Roma-Angehörigen", betont Barbara Lochbihler (Grüne), Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im EU-Parlament. Bei der Umsetzung hapere es allerdings. Schon vor einem Jahr hatte die EU ein Rahmenprogramm für die Integration von Roma verabschiedet. Jedes Land sollte seine Integrationspläne vorstellen. Die Bundesregierung habe in vielerei Hinsicht keine ausreichenden Vorschläge gemacht - "mit dem Argument, Roma seien in Deutschland ausreichend integriert", sagt Lochbihler. Dabei werde aber die Situation der deutschen Roma zugrunde gelegt - und die Situation der Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Kosovo außer Acht gelassen.

Laut einer aktuellen Studie der EU-Grundrechte-Agentur leben 90 Prozent der Roma unterhalb der Armutsgrenze. Nur 15 Prozent von ihnen haben einen Schulabschluss der Sekundarstufe II oder eine Berufsausbildung. Weniger als ein Drittel gehen einer bezahlten Beschäftigung nach. Außerdem stört laut einer Untersuchung der Uni Bielefeld 40 Prozent der Befragten allein die Anwesenheit von Roma in ihrer näheren Umgebung. Mangelndes Verständnis, das auf mangelnder Kenntnis basiere, sagt Menschenrechtsexpertin Lochbihler. Die Ausgrenzung habe zur Folge, dass die Roma sich auf ihre Familien zurückzögen. Ziel müsse es aber sein, sie auch in die Lösungen miteinzubeziehen und ihre Eigenaktivität zu stärken.

Von Thomas Lanig (dpa) und Nina Schmedding (kna)

Quelle: Saarbrücker Zeitung

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