Nürnberger Nachrichten, 09.12.2010
Essenspakete für Asylbewerber „menschenunwürdig“
Flüchtlingsbetreuer kritisiert Verstoß gegen elementare Rechte — Rationen teuer und von zweifelhafter Qualität
Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) findet die Versorgung der Menschen in den bayerischen Asylbewerberheimen mit Essenspaketen „sinnvoll und sachgerecht“. Doch diese Art der Zwangsernährung ist aus Sicht der Betroffenen entwürdigend und diskriminierend.
Uche Akpulu wird sehr grundsätzlich: „Das ist menschenunwürdig, Deutschland ist in der westlichen Welt angesehen, und wenn es um Menschenrechte geht, dann sollte Deutschland vorbildlich sein.“ Doch Uche Akpulu muss bei dem Thema überhaupt nicht theoretisieren: Vier Jahre lang hat der Nigerianer selbst in München in einem Asylbewerberheim gewohnt, bevor er beim Bayerischen Flüchtlingsrat aktiv wurde. Und in der Sammelunterkunft hat der Afrikaner selbst erlebt, als „vergammelte Hähnchenteile“ verteilt worden sind.
Die Qualität der Waren in der „Sachleistung“ Essenspaket wird von Betroffenen und Hilfsorganisationen immer wieder kritisiert: Von matschigen Tomaten, braun verfärbten Bananen, Produkten mit überschrittenem Mindeshaltbarkeitsdatum, angeschimmelten Rote-Bete-Hälften ist in einem Report des „Netzwerks Deutschland Lagerland“ aus dem Oktober die Rede.
Teil des „Kontrollsystems“
Nach den Protesten früherer Jahre gibt es kein Standardsortiment mehr, sondern die Regierungsbezirke arbeiten mit Hilfe von Privatfirmen mit Bestelllisten. Für Ben Rau von der Flüchtlingsorganisation „Karawane“ ist das Verfahren Teil des „Kontrollsystems“ in den Heimen: Wer bei der Bestellung oder Auslieferung der Pakete nicht anwesend ist, der bekommt nichts, „hat verloren“, so Rau. Die Essensverteilung wirkt damit als staatlich angeordnetes oder toleriertes Druckmittel, um die eigentlich gelockerte Bewegungsfreiheit der Asylbewerber einzuschränken.
Und so wird die Zwangszuteilung von Nahrungsmitteln und deren Verweigerung zum Symbol für den Protest der betroffenen Asylbewerber und Flüchtlinge gegen ihre Behandlung, gegen die geschmähte Unterbringung in abgelegenen und verkommenen Heimen, gegen Reisebeschänkungen, gegen das Arbeitsverbot.
Am Sonntag haben etwa 380 Menschen in Unterkünften in Augsburg und Coburg ihren wochenlangen Hungerstreik und die Annahmeverweigerung der Pakete vorübergehend ausgesetzt. „Die Leute sind psychisch und physisch am Ende“, berichtet Betreuer Ben Rau. Im Essensstreik befinden sich noch über 100 Personen in Mainburg, Schwabmünchen, Hauzenberg, Böbrach, Wallersdorf und Denkendorf.
Geld bekommen die etwa 8500 (750 in Mittelfranken) Bewohner der „Gemeinschaftsunterkünfte“ nicht, sondern sie können aus einer Warenliste auswählen. Die Bürgerinitiative Asyl Regensburg hat zwei Pakete eines Erwachsenen für eine Woche unter die Lupe genommen: tiefgefrorene Hähnchenteile (500 Gramm) und Rindfleisch (200 Gramm), zehn Semmeln, ein Kilogramm Mehl, 500 Gramm Reis, Feta und Schnittkäse, Putenwurst, Obst frisch und als Konserve, sechs Eier, Zwiebeln, Tomaten, Bohnen und Schältomaten in Dosen, ein Schokoriegel, ein Liter H-Milch, saure Sahne, Pflanzenöl, Mineralwasser und Apfelsaft.
„Noch nie gesehen“
Der Nigerianer Akpulu erinnert sich an seine Zeit im Heim: „Manchmal musste ich 50 Prozent des Inhalts wegschmeißen, weil ich nichts damit anfangen konnte.“ Joghurt und Gurken beispielsweise: „Das sind Sachen, die ich noch nie gesehen hatte und auch nicht gewohnt war.“ Ben Rau von der Hilfsorganisation „Karawane“ bestätigt, dass bei dem Versorgungssystem „die kulturellen Gewohnheiten der Menschen nicht berücksichtigt“ würden. Einer indischen Familie etwa fehlten die Mittel, um ihre vertrauten Gewürze einzukaufen.
Der Freistaat lässt sich die als Abschreckung gedachte Zwangszuteilung von Essen einiges kosten: Nach Angaben von Ministerin Haderthauer waren es 2008 über 4,8 Millionen Euro. Bayern beruft sich auf Bundesrecht, während andere Bundesländer Gutscheine oder Geld geben. Ein Testkauf von Flüchtlingsbetreuern hat gezeigt, dass die Betroffenen die Waren selbst im Einzelhandel um neun bis 66 Prozent günstiger einkaufen könnten. Ben Rau: „Da könnte der Freistaat viel Geld sparen.“
Wolf-Dietrich Nahr
Quelle: Nürnberger Nachrichten