B5Aktuell, 27.04.2010

Essen vom Amt

Flüchtlinge wehren sich gegen Nahrungspakete

Bayerischer Rundfunk

Seit ein paar Wochen werden in mehreren bayerischen Sammelunterkünften für Asylbewerber die Essenspakete boykottiert. Den Anfang machten die Flüchtlingslager in Hauzenberg und Breitenberg, es folgten Passau, Bogen bei Straubing, Regensburg und Augsburg. Mittlerweile sind laut Bayerischem Flüchtlingsrat über 200 Menschen an dem Essenspakete-Boykott beteiligt.

Einer davon ist Sengbar aus Liberia. Er ärgert sich darüber, wie ihm vorgeschrieben wird, was er zu essen hat. "Ich mag überhaupt keinen Joghurt", sagt er. Unter der Rubrik "Milchprodukte" steht: Joghurt, Quark, Frischkäse, saure Sahne und H-Milch. "Aber dann nehme ich eben Milch, denn man muss überall Kreuzchen machen, sonst kann man die Zettel nicht abgeben. Du musst was ankreuzen." Da er auf dem Bestellzettel bei jeder Rubrik - also Fleisch, Milchprodukte, Nährmittel, Fette usw. etwas auswählen muss, bekommt er Produkte, die er gar nicht will. Und das zweimal pro Woche. Und zweimal pro Woche bekommt er nicht das zu essen, was er sich selbst gerne kaufen würde. Unter "Obst" steht auf dem Bestellzettel Zitrone, Apfel, Banane oder Kiwi. Das klingt ja ganz gut - aber es bedeutet auch: niemals Melonen, Aprikosen, Kirschen oder Pflaumen. Außerdem kommen die vermeintlich frischen Sachen wie Obst, Gemüse oder Brot oft in einer so schlechten Qualität, dass für Sengbar gilt: entweder gleich aufessen, oder wegschmeißen.

Sengbar und den anderen Flüchtlingen geht es aber nicht nur um die Ernährung, sie protestieren auch gegen ihre Lebensbedingungen in der Unterkunft. Sie wollen arbeiten und in eine eigene Wohnung ziehen. Sengbar wirkt auf bedrückende Art wütend und resigniert gleichzeitig: "Ich kann das alles hier nur als zivilisierte Folter beschreiben", sagt er, "Menschen hier drin zu halten, ist einfach nicht gut für sie. Wir haben nichts verbrochen, wir sind hierher gekommen, um Schutz zu suchen. Man sagt zwar, dass man uns hilft, aber das stimmt nicht. Das hier ist Folter, wirklich."

Bayern hat von allen Bundesländern die restriktivste "Asyldurchführungsverordnung", denn hier gilt das "Sachleistungsprinzip". Das heißt, die Menschen werden vom Amt versorgt: Unterkunft im Heim, Kleider- und Möbelspenden, sowie Hygiene- und Essenspakete. Das einzige Bargeld, das die Flüchtlinge in die Hand bekommen, sind 40 Euro Taschengeld im Monat. Der Grund ist aber nicht allein Fürsorge, sondern ein politisches Prinzip, das in der Asyldurchführungsverordnung festgeschrieben ist: "Die Verteilung und die Zuweisung darf die Rückführung der betroffenen Personen nicht erschweren: sie soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern."

Für die Streichung dieses Absatzes hat sich im vergangenen Jahr sogar die CSU-Familienministerin Christine Haderthauer stark gemacht. Gegen ihren Partei-Kollegen, den Innenminister Joachim Herrmann, konnte sie sich aber nicht durchsetzen. Der ist partout dagegen, den Asylbewerbern Geld statt Sachleistungen zu geben.

Joachim Herrmann: "Denn es muss auch sichergestellt werden, dass nicht, indem wir pauschal Geld auszahlen, letztendlich anderer Unfug angestellt wird. Natürlich ist auch vorstellbar, dass ein Asylbewerber, wenn wir ihm einfach viele Geldscheine in die Hand drücken, sich mit Alkohol eindeckt oder gar in die Richtung von Drogen geht. All solche Dinge hat es auch schon gegeben."

Von dieser fürsorglichen Haltung profitiert die Firma "Drei König" aus Schwäbisch Gmünd. Das Unternehmen beliefert die Unterkünfte in fünf von sieben bayerischen Regierungsbezirken, will sich aber weder zu den Boykotten, noch zum fragwürdigen Inhalt der Essenspakete äußern. Nicht einmal der Preis, den "Drei König" für die Versorgung der Flüchtlinge verlangt, ist ohne weiteres in Erfahrung zu bringen. Renate Ackermann ist die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag:

Renate Ackermann: "Wir haben dazu schon einen Antrag gestellt, um zu erfahren, wie viel Kosten anfallen. Der Antrag wurde leider bisher noch nicht behandelt. So haben wir auch nur die Zahlen, die in der Anhörung genannt wurden, vom Herrn Dr. Blöck vom Sozialministerium. Das war so eine allgemeine Zahl von 100 Euro pro Monat."

Auch dem BR gegenüber will das Sozialministerium nicht konkreter werden. Die Verträge mit der Lieferfirma machen aber ohnehin die Bezirksregierungen. Und die nennen auf Nachfrage erstaunlicherweise ganz andere Durchschnittszahlen. So gibt es das billigste Essenspaket in Oberbayern und Schwaben für 129 Euro, in Niederbayern sind es 136 Euro, in Ober- und Mittelfranken 138 Euro, in Unterfranken 140 Euro und das teuerste ordert die Oberpfalz mit 148 Euro. Macht einen Durchschnittswert von 138 Euro pro Monat und Person - 38 Euro mehr als vom Sozialministerium angegeben.  Bei ungefähr 7.000 Asylbewerbern pro Jahr ergibt das einen Unterschied von fast 3,2 Millionen Euro. Der Verdacht liegt nahe, dass die Kosten extra günstig gerechnet werden, um die Versorgung mit Essenspaketen zu rechtfertigen. Aber egal, ob 100 oder 138 Euro. Wenn man bedenkt, dass die Flüchtlinge in den Essenspaketen auch Waren bekommen, die sie gar nicht wollen, die irgendwann schlecht werden und weggeschmissen werden, dann ist diese Zwangsversorgung immer noch Geldverschwendung. Innenminister Joachim Herrmann sieht dennoch keinen Handlungsbedarf in der bayerischen Asylpolitik. Er könnte sich sogar vorstellen, auch selbst seinen Speiseplan mit den Produkten aus Essenspaketen zu gestalten.

Joachim Herrmann: "Ich glaube, dass ich davon sehr gut leben könnte und somit glaub ich, dass es auch jedem zumutbar ist, der sich in diesen Unterkünften aufhält."

Eine etwas absurde Vorstellung: Der Herr Innenminister, wie er sich überlegt, in den nächsten paar Tagen lecker und abwechslungsreich zu kochen - aus: einem Päckchen Reis, einem Päckchen Bohnen sowie Thunfisch, Tomaten und Champignons aus der Dose. Mahlzeit!

Laura Freisberg

Quelle:
BR-Online

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