Münchner Merkur, 12.01.2012

Erstes Gespräch mit den Hungerstreikenden

Minderjährige Flüchtlinge fordern rascheres Clearingverfahren - Innere Mission sieht gesamte Gesellschaft in der Pflicht

 

Nachdem in der Bayernkaserne zahlreiche minderjährige Flüchtlinge in den Hungerstreik getreten sind (wir berichteten) trafen sich am Dienstag Vertreter der Inneren Mission, der Regierung von Oberbayern und des Stadtjugendamtes mit den Streikenden zu einem Gespräch.

Die sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF) machten dabei deutlich, dass sie sich vor allem eine raschere Abwicklung des sogenannten Clearingverfahrens wünschen, damit sie schneller von der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne in eine Jugendhilfeeinrichtung wechseln können. Das sagte Nabi, ein 16-jähriger Afghane, der seit acht Monaten in der Bayernkaserne lebt, unserer Zeitung. Ziel des Clearings ist die Klärung der Situation von unbegleiteten Minderjährigen, also die Feststellung ihrer Identität, ihrer körperlichen und psychischen Verfassung sowie ihrer möglichen Perspektiven. Erst wenn das Verfahren abgeschlossen ist, können die oft schwer traumatisierten Jugendlichen in eine Jugendhilfeeinrichtung ziehen, wo sie intensiv psychosozial betreut werden. Nabi kritisierte, dass sich das Verfahren bis zu elf Monate hinziehe.

Zudem beanstandete er den fehlenden Zugang zu Bildung. Es gebe nicht genügend Plätze in Deutschkursen. „Viele sind schon seit sechs Monaten hier, aber haben immer noch keinen Platz in einem Deutschkurs." Außerdem bauten die Kurse nicht aufeinander auf, weshalb die Jugendlichen mehrmals den Anfängerkurs besuchen müssten.

Auch die medizinische Betreuung sei mangelhaft. Die nicht krankenversicherten Jugendlichen müssten sich beim Sozialamt einen Krankenschein besorgen, bevor sie zum Arzt gehen könnten. Doch das Sozialamt sei etwa am Wochenende nicht erreichbar. Und statt eine Psychotherapie zu bekommen, würden sie mit Schlaftabletten ruhig gestellt.

Die Jugendlichen wünschen sich zudem eine ruhige und sichere Bleibe: „Hier ist es sehr laut, weil so viele Menschen hier leben", sagte Nabi. „Fast jede Nacht kommt die Polizei, weil es Streit unter den Leuten gibt." Auch an Freizeitaktivitäten fehle es: "Wir bekommen keinen Ausweis für die Stadtbibliothek, nicht einmal einen Ball gibt es hier."

Die Innere Mission, die für die Betreuung der UMFs in der Bayernkaserne zuständig ist, hat Verständnis für die Anliegen: "Auch wir wollen eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, und das will auch die Regierung von Oberbayern", sagte Pfarrer Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission. Allerdings sei der Hungerstreik keine  verhältnismäßige  Methode und stehe einer pragmatischen Lösung im Weg. Einige Anliegen würden sich nämlich schnell lösen lassen, etwa Stadtbibliotheks-Ausweise für die Jugendlichen bereitzustellen. Andere Anliegen seien schwieriger. Denn obwohl nach einem Hungerstreik somalischer Jugendlicher im November die zehn Stellen der Inneren Mission in der Bayernkaserne auf 13 Stellen aufgestockt worden waren, fehle es an Personal zur Betreuung der Jugendlichen. Die Erstaufnahmeeinrichtung sei für 50 UMFs konzipiert, inzwischen lebten 132 minderjährige Flüchtlinge dort. Zudem seien die Plätze in den Münchner Jugendhilfeeinrichtungen belegt, weshalb die Jugendlichen selbst nach dem Clearing nicht weitervermittelt werden könnten. Zwar verfolge das Sozialministerium eine Strategie der bayernweiten Verteilung der Flüchtlinge, aber noch gebe es keine Plätze in kleineren Kommunen: „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", sagte Bauer.

Die Innere Mission arbeitet nun an einem Konzept zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Flüchtlinge, vor allem bei der Freizeitgestaltung und für ein friedliches Miteinander unter den Flüchtlingen: „Die Vorwürfe sind berechtigt, aber die Jugendlichen müssen die Kultur in der Einrichtung mitgestalten", sagte Pfarrer Andreas Herden. Die Innere Mission erwägt nun, einheimische Jugendliche, die in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert sind, mit den Flüchtlingen zusammenzubringen, um Hilfe zur Selbsthilfe sowie Anreize für die Freizeitgestaltung zu geben.

Von Bettina Stuhlweissenburg


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