Main-Echo, 06.04.2012

Erst mal wieder essen

 

Masoud Hosinzadeh zögert. Er blickt in den Sitzungssaal im Würzburger Rathaus. Er hat seit über zwei Wochen nichts gegessen. 30 Journalisten schauen ihn an, Politiker, etwa 40 Besucher. Drei Fernsehkameras sind auf ihn gerichtet. Die Vorsitzende der Internationalen Förderation für iranische Flüchtlinge, Shahnaz Morattab, hat ihn gerade gebeten, den Hungerstreik für beendet zu erklären.

Dann platzt es aus Masoud heraus: „Okay, wir machen das ab heute ohne den Hungerstreik ...“ Langer Applaus. Doch Masouds Satz ist noch nicht zu Ende. Als es wieder stiller wird, beendet er ihn: „Aber das bedeutet nicht, dass wir das Zelt verlassen!“ Wieder klatschen die Leute, einige lachen. Die Behörden-Vertreter nicht.

Es ist der 17. Tag des Hungerstreiks der iranischen Asyl-Bewerber. Mitten in der Würzburger Innenstadt, am Brunnen vor dem Rathaus. Zwei Wochen lang nahmen sie nur noch Kaffee, Tee, Saft und Wasser zu sich. In den letzten drei Tagen dann nur noch Wasser. Sie protestieren für ihre Anerkennung als politisch verfolgte Flüchtlinge, für ihr Asylrecht. Und sie fordern Änderungen der rigiden bayerischen Asylpolitik. Sie wollen politisch Verantwortlichen sprechen. Heute sind einige aus München gekommen. Nach zwei Stunden Gespräch versprechen sie eines: Alle Fälle werden neu aufgerollt. Auch der von Masoud, der im Iran als Beamter gearbeitet hatte, als regierungskritisch auffiel und drei Wochen vom Geheimdienst verhört und gefoltert wurde.

Die Pressekonferenz im Würzburger Sitzuungsaal ist ein surreales Szenario: Der schicke Saal mit stilvollen Stühlen und großen Flaggen, die tief von der Wand hängen. Auf der einen Seite ältere Herren in Anzügen, ein Bürgermeister, Vertreter von Behörden und Ministerien. Auf der anderen Seite drängen sich zehn junge Leute um ihre Übersetzerin, Leute in Freizeitklamotten, die besser aussehen als man es nach 17 Tagen ohne Essen vermuten würde.

Masoud Hosinzadeh ist der Sprecher der Hungerstreikenden, er kann am besten Deutsch. Er ist 34 Jahre alt, wohnt seit fünf Jahren in der Würzburger Asylbewerber-Unterkunft. Masoud hat ein freundliches, offenes Gesicht, darüber spärlich wachsendes, schwarzes Haar mit grauen Strähnen. Er wirkt angespannt, scheint sich anstrengen zu müssen, um aufmerksam zu bleiben. Immer wieder macht er sich Notizen. Wenn er redet, kommt er ins Stammeln, die Medienleute müssen mehrmals nachfragen, was er meint. Am Ende ist nur klar, dass Masoud und seine Landsleute wieder essen. Erstmal.

Bevor es soweit ist, stürmen die Kamera-Teams von Sat1, Arte und einem iranischer Sender auf Masoud zu. Mikrofone der Presse- und Radiojournalisten werden dem zwei Meter großen Mann, der in zwei Wochen an die sieben Kilo abnahm, unter die Nase gehalten. Das nervöse Stammeln ist erstmal fort, die Angespanntheit aus dem Gesicht gewichen. Alle wirken erleichtert, denn sie wissen, dass der Hungerstreik in den letzten Tagen lebensbedrohlich wurde. Am Vortag kamen zwei der Iraner mit akuten Kreislaufproblemen im Rettungswagen ins Krankenhaus.

Jetzt umarmen sich die Männer. Einige haben Tränen in den Augen. Viele telefonieren. Mit Freunden in Deutschland, in der Unterkunft, erzählen ihnen vom Tag: Vom Gespräch mit den aus München gekommenen Behörden-Vertretern, von den Fernseh-Teams, von den vielen Journalisten. Davon, dass ihr Fall neu geprüft wird. Von der Hoffnung, dass der Hungerstreik und die mediale Aufmerksamkeit ihre Chance erhöht haben, nicht abgeschoben zu werden. Am Zelt gibt es die erste Suppe. Glückliche, hoffnungsvolle Augen, und immer wieder Umarmungen.

Nun endlich hat Masoud etwas Zeit. Er sitzt auf seinem Bett im Zehn-Mann-Zelt, ihm geht es überhaupt nicht gut, er bringt nur einsilbige Antworten heraus. „98 Prozent positiv“, sei das Feedback der Leute, mit denen in der Innenstadt Gespräche zustande kommen. Ein Beispiel für die anderen zwei Prozent: Am Mittag, als Masoud & Co. noch in den Gesprächen mit den Behörden stehen, argumentiert ein Mann am Zelt, dass „das ja alles zu Lasten des Steuerzahlers geht.“

Eine junge Unterstützerin mit starkem schwäbischen Dialekt erklärt dem Mann, dass es sich bei den Iranern um arbeitswillige, junge, ausgebildete Männer handelt, die zu liberal für das autoritäre Regime ihrer Heimat sind – und dass sie sehr gerne arbeiten und in die Sozialkassen einzahlen würden. Nur dürfen sie nicht. Der Mann grummelte noch ein bisschen herum und zieht dann weiter.

Im Iran hat Masoud eine Ehefrau und ein achtjähriges Kind. Seit er vor fünf Jahren floh, hat er die beiden nicht gesehen. Wie er den Kontakt hält? „Nur über das Internet“, sagt Masoud. Ob es bei zehn Männern in einem Zelt auch Streit gab? „Ganz normal.“ Mehr bringt Masoud nicht heraus. Es ist keine unfreundliche Einsilbigkeit. Er ist einfach völlig fertig. Immer wieder senkt er seinen Kopf und vergräbt ihn in seinen Händen. Er sagt: „Das Denken funktioniert nicht mehr.“ Er hat Kopfweh, ist müde. Typische Symptome eines Hungerstreiks, der nach drei Wochen lebensgefährlich werden und zu bleibenden Schäden führen kann.

Masouds Blick wird wieder klarer, als er Dr. Schrepfer sieht, einen der drei Ärzte, die die Iraner betreuen. Er fragt den Mediziner, wie es aussieht mit dem Essen: Was müsse man beachten, was darf man essen, was nicht? Normale Mahlzeiten sind in den ersten Tagen tabu: Alle halbe Stunde dürfen die Männer etwas Kleines zu sich nehmen: Eine Suppe oder einen Keks.

Einer sei aber gerade weggegangen, um einen Döner zu essen, sagt Masoud. „Das kommt sofort wieder raus“, meint der Arzt. „Dann muss er halt auf dem Klo essen“, platzt es aus einer rothaarigen Unterstützerin heraus. Masoud lacht, aber sein Gesicht bleibt angespannt. Wenig später wird seine Miene ganz ernst:

Während alle bei der Pressekonferenz waren, hat jemand einen Drohbrief ins verlassene Zelt gelegt. Hektisches Gewusel bricht aus. Erste Übersetzungen machen die Runde: In afghanischem Persisch werde den Männern gedroht, sie werden alle umgebracht. Als alle zusammengetrommelt sind, ziehen sie sich ins Zelt zurück. Alle anderen müssen raus. Fast 45 Minuten bleiben sie dort und beraten. Als er rauskommt, will Masoud nicht über die Krisensitzung sprechen. Er wartet. Mal wieder. Diesmal auf die Polizei.

Von Manuel Barbosa

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http://www.main-netz.de/nachrichten/region/frankenrhein-main/franken/art4005,2063012

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