Süddeutsche Zeitung, 24.05.2012
Eppeneder: Die Abgründe der Politik
Mitten in Bayern
Wenn der Fall (des) Norbert Röttgen eines gelehrt hat, dann ist es die Flüchtigkeit des politischen Daseins. Am Wahlabend um 17.59 Uhr stand der Mann noch in der Blüte seines Schaffens, eine Minute später stand er mit eineinhalb Beinen im Aus. Die Ungewissheit um die eigene Zukunft erklärt wohl auch, weshalb es Politikern mithin schwerfällt, sich in der Gegenwart zurückzunehmen. Ihre Währung ist die Öffentlichkeit, ihr Leben spielt sich auf jenem schmalen Grat ab, der bereits der Barockliteratur bekannt war: zwischen carpe diem (Nutze den Tag) und vanitas (Vergänglichkeit). Wer wankt, fällt tief.
In Bayern mussten Edmund Stoiber, Erwin Huber und Günther Beckstein diese Erfahrung machen, wobei nicht immer eine verlorene Wahl ursächlich für das politische Ableben sein muss. Manchmal genügt ein simpler Putsch, ein ungenügendes Krisenmanagement oder ein unvorhersehbares Ereignis. Das Rathaus in Hauzenberg beispielsweise war urplötzlich damit konfrontiert, dass ein Mitarbeiter die Stadtkasse jahrelang um mindestens 2,1 Millionen geplündert hatte. So etwas zehrt. Erst räumte der Bürgermeister aus gesundheitlichen Gründen seinen Stuhl, nun ist auch der Kämmerer krankgeschrieben. Zum Trost seien ihnen die Beispiele Stoiber, Huber und Beckstein genannt, deren fideles Auftreten verrät, dass der Tag auch für Politrentner einen Nutzen bereithalten kann. Ob die drei Herren insgeheim grübeln, ob sie nicht lieber doch länger hätten durchhalten sollen, ist ein anderes Thema.
Der Landshuter Landrat Josef Eppeneder wird sich mit dieser Frage einmal nicht martern müssen. Mit bewundernswerter Ausdauer hat er erst allen Vorwürfen getrotzt, er habe seine Kinder bei der Vermietung von Asylbewerberunterkünften an den Landkreis unterstützt (als Landrat!), obwohl er den Kauf einer Immobilie persönlich begleitet hat (als Vater!). Nun erteilt Eppeneder sich und seiner Familie gleich noch die Absolution. Dank der privaten Vermieter habe der Landkreis all die Schwierigkeiten bewältigen können, die mit der kurzfristigen Unterbringung verbunden waren, heißt es. Bleibt nur die Frage, warum ein Politiker mit diesem Stehvermögen nicht längst schon ein höheres Amt betraut. Und warum Angela Merkel leider so weit weg ist.
Wolfgang Wittl
Quelle: Süddeutsche Zeitung