Süddeutsche Zeitung, 18.12.2009

Ende der Duldsamkeit

"Lagerzwang", Armut und eine quälende Ungewissheit: Irakische Flüchtlinge leben in München oft in ständiger Angst vor Abschiebung. Nun fordern irakische Frauen ein vollwertiges Bleiberecht.

Leben im Ausnahmezustand: Ein kleiner irakischer Junge in einem Flüchtlingsheim in München. Foto: AP

 

Als "ausreisepflichtige Ausländer" werden sie klassifiziert - "Aussetzung der Abschiebung" steht in ihren Pässen vermerkt. Mit diesem behördlichen Stempel leben nach Schätzungen des Kreisverwaltungsreferats München (KVR) derzeit 660 irakische Flüchtlinge in Bayern. Alle drei bis sechs Monate wird ihre Duldung überprüft.

Seit teilweise acht Jahren führen diese Menschen, die erst vor Saddam Hussein und dann vor den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in ihrem Heimatland geflohen sind, in Flüchtlingslagern ein Leben auf engstem Raum und oftmals von der Außenwelt abgeschottet. "Unter der Situation leiden vor allem die Frauen und Kinder", sagt die Münchner Anwältin für Asyl- und Ausländerrecht, Gisela Seidler.

"Ich kann nicht mehr stillhalten"


Um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen, hat eine Gruppe irakischer Frauen nun eine Bleiberechtskampagne ins Leben gerufen: Am 19. Dezember findet in München ein Demonstrationszug statt, der um 13 Uhr in der Schwanthalerstraße am Eine-Welt-Haus startet und die Protestierenden bis zum bayerischen Innenministerium führt. "Ich kann nicht mehr stillhalten. Wir sind Menschen - und wissen, was unsere Rechte sind", sagt die Irakerin Diman Ahmed.

Vor acht Jahren kam die heute 28-Jährige mit ihrem Mann und damals vier Monate alten Tochter nach Deutschland. Die vergangenen siebeneinhalb Jahre lebte die Familie auf knapp 16 Quadratmetern in einem Container in der Sankt-Veit-Straße im Münchner Osten - in ständiger Angst vor der Abschiebung in ihr Heimatland.

Für die deutschen Asylbehörden markiert der Sturz des Diktators Hussein das Ende der Gefahrenlage im Irak. "Zumutbarkeitskriterien spielen seitdem keine Rolle mehr", erklärt Anwältin Seidler. Offiziell sollen irakische Flüchtlinge seit 2003 wieder unbedenklich in ihr Heimatland zurückkehren können - obwohl dort täglich Bomben extremistischer Attentäter Menschenleben fordern.

Vielen Flüchtlingen, die bereits eine Aufenthaltsgenehmigung hatten, wurde diese nachträglich wieder aberkannt. Wenn heute Iraker in Deutschland um Asyl ersuchen, müssen sie darauf hoffen, die richtige Religion bzw. Stammeszugehörigkeit zu haben: Während irakische Christen und Yeziden relativ gute Aussichten auf asylrechtliche Anerkennung in Deutschland haben, werden die Asylanträge von irakischen Sunniten und Schiiten in der großen Mehrheit abgelehnt. "Dabei sterben im Irak Menschen aller Gruppen", sagt Rechtsanwältin Seidler.

Tatsächlich abschieben kann die Bundesregierung die Iraker "aus humanitären Gründen" nicht. So kommt es, dass auch in München viele Flüchtlinge seit Jahren im Aufenthaltsstatus der Duldung "in der Luft hängen", so Seidler.

Duldung, das bedeutet für Irakflüchtlinge in Bayern eine stark reglementierte Arbeits- und Ausbildungserlaubnis, ein eingeschränktes Recht auf Sozialleistungen - und grundsätzlich einmal die Unterbringung in Asylunterkünften: Im Gros, so Rechtsanwältin Seidler, seien die Sammelunterkünfte eng, laut und schmutzig. In München wurden bereits mehrere Flüchtlingsheime wegen menschenunwürdiger Zustände geschlossen.

Odyssee durch Sammellager


Seidler kennt ein irakisches Ehepaar, das vor acht Jahren mit seinen zwei Töchtern nach Deutschland floh. Vor sieben Jahren kam ein Sohn in München zur Welt - bis heute kennt er nur das Leben in verschiedenen Flüchtlingsheimen in München.

Wer sich eine eigene Unterkunft suchen möchte, muss dies extra beantragen und selbst finanzieren - obwohl die Unterbringung von Flüchtlingen in Privatwohnungen nach einem Gutachten des Bayerischen Flüchtlingsrates jährliche Einsparungen im zweistelligen Millionenbereich brächte.

Allerdings reagieren Vermieter wie Arbeitgeber natürlich skeptisch auf Bewerber, deren Verbleib in Deutschland permament in Frage steht.

Aufhebung der "Kettenduldungen"


Vor allem die schwierige Situation ihrer Kinder ist es, die die irakischen Frauen zu ihrer Initiative bewegt hat. Sie bekommen zwar im Gegensatz zu den Erwachsenen eine Sprachförderung und besuchen hier die Schule, an Klassenfahrten über die bayerische Landesgrenze hinaus können sie jedoch beispielsweise nicht teilnehmen. Ihre Lebenssituation ist geprägt von Armut und täglicher Ungewissheit.

Für die Mütter und jungen Mädchen, die seit Jahren in Deutschland leben, sei insbesondere die Vorstellung bedrückend, irgendwann in ein Land zurückkehren zu müssen, in dem sich die Situation der Frauen drastisch verschlechtert hat, sagt Rechtsanwältin Seidler.

Die Chancen des Vorstoßes der Irakerinnen schätzt Seidler durchaus positiv ein: Im Hamburg sei es nach groß angelegten Demonstrationen afghanischer Flüchtlinge zu einer Aufhebung der "Kettenduldungen" gekommen. Dort bekommen Flüchtlinge, die 18 Monate in der Duldung gelebt haben und bei denen eine Rückkehr in ihr Heimatland nach wie vor nicht zumutbar ist, nun eine befristete Aufenthaltserlaubnis.



von Johanna Bruckner

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