Süddeutsche Zeitung, 31.10.2005

Eingesperrt im Niemandsland

Seit sieben Monaten pendelt ein irakischer Flüchtling zwischen Stadelheim und Flughafenunterkunft - ohne Aussicht auf Ein- oder Ausreise

Süddeutsche Zeitung: In Deutschland ist es so, dass niemand seiner Freiheit beraubt werden darf ohne richterlichen Entscheid, das steht im Grundgesetz. Und doch ist da ein Mann am Münchner Flughafen eingesperrt, seit Monaten schon, ohne dass dies ein Richter angeordnet hätte. Der Mann ist Flüchtling, und für Flüchtlinge gelten besondere Regeln. An seinem Gefängnis steht nicht Gefängnis außen drauf, also ist sein Einsperren in Ordnung. Der Flüchtling wird seit Monaten in Deutschland festgehalten - gilt aber als noch nicht eingereist. Er ist im Niemandsland gestrandet.

6. April 2005. Burhan Karim Zangana landet auf dem Münchner Flughafen.
Der kurdische Iraker wird ohne Pass von Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) festgenommen. Im Flugzeug findet man einen deutschen Flüchtlingspass, den Zangana für 1100 Dollar einem Iraker abgekauft hat. Damit ist ihm via Teheran und Dubai die Ausreise gelungen. „Der Zangana führte 31 US-Dollar mit, die ihm belassen wurden“, vermerkt der BGS. Der Zangana. Die Polizisten sparen sich das „Herr“.
Bei der ersten Vernehmung sagt er, er sei nach Deutschland gekommen, um ein besseres Leben zu führen. „Dem Zangana wurde am 7.4. 2005 daraufhin die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland verweigert und die Zurückweisung eröffnet“, protokollieren die Grenzschützer. Ein Richter ordnet Abschiebehaft an.

7. April. „Der Zangana wurde daraufhin in die JVA Stadelheim eingeliefert."
Zangana gibt sich zunächst als Iraner aus, offenbar aus Angst, sonst gleich in den Irak zurückgeschickt zu werden. Sein Anwalt Michael Sack nennt das einen „Blödsinn“ - hätte er von Anfang an die Wahrheit gesagt und Asyl beantragt, säße er jetzt wohl nicht fest. Irgendwann in Stadelheim offenbart er seine Herkunft, nach zwei Monaten beantragt er Asyl. Das wollte er eigentlich nicht, sagt er seinem Anwalt, er wollte weiter nach England, zu einem Verwandten.
Er sitzt zwar in Stadelheim, aber offiziell ist er noch nicht eingereist. Weil's schnell gehen soll, entscheidet sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für das so genannte Flughafenverfahren - mit Anhörung in Stadelheim. Zangana erklärt, dass er und sein Vater Mitglied der Baath-Partei waren, der Partei von Saddam Hussein, und er nun Repressionen nach dessen Sturz befürchte. Die Vorstellung, dass ein Saddam-Anhänger in Deutschland Zuflucht sucht, mag befremdlich sein. Allein, die Gesetze gewähren auch dem Anhänger eines verbrecherischen Regimes Schutz, sofern er politisch verfolgt ist. Ist er aber nicht, entscheidet der Entscheider des Bundesamtes und lehnt den Asylantrag als „offensichtlichunbegründet" ab. Das bedeutet: sofort zurück.

7. Juni 2005. Zangana wird zurück zum Flughafen gebracht.
Zwar ist jede Fluggesellschaft verpflichtet, einen Flüchtling wieder zurückzubringen, Zangana müsste nach Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten - doch ohne Papiere geht gar nichts. Am Flughafen unterhält der BGS gegenüber der Disco Nightflight eine Unterkunft für Abschiebeflüchtlinge. Sie ist bewacht und eingezäunt, die Flüchtlinge dürfen sie nicht verlassen. Dorthin bringt man Zangana.
Sein Anwalt Sack stellt Eilantrag gegen die Ablehnung des Asylantrags, für die Begründung hat er eine Woche Zeit. Der Richter am Verwaltungsgericht aber entscheidet einen Tag vor Ablauf der Frist, ablehnend. Der Anwalt protestiert - der Richter muss seinen eigenen Beschluss wieder aufheben. Zwei Tage später entscheidet er erneut, abermals ablehnend. Im Juni führen mehrere Gerichtsbeschlüsse zu einem dauernden Hin und Her im Niemandsland.

20. Juni. Zurück nach Stadelheim.
Das Amtsgericht Erding hat auf Antrag des BGS Abschiebehaft verhängt. Einen Tag später aber soll das Flughafenverfahren wieder aufgenommen werden.

21. Juni. Zurück zum Flughafen.
Wieder ergeht ein Gerichtsbeschluss, der Antrag auf Einreise wird abgelehnt, die Haft soll fortgesetzt werden.

24. Juni. Zurück nach Stadelheim.
Der BGS hat beim Amtsgericht Erding erneut Abschiebehaft beantragt, der Richter hat Ja gesagt. Vor Gericht hat Zangana gesagt: „Ich möchte gerne mit meinem Anwalt reden.“ Vergeblich. Vom Haftantrag, vom Anhörungstermin vor Gericht und vom Haftbeschluss erfährt Anwalt Sack erst hinterher. Im Gesetz aber steht, dass ein Anwalt hinzugezogen werden muss. Auch von der zweiten Instanz beim Landgericht Landshut erfährt der Anwalt zu spät. Später wird das Oberlandesgericht dies einen „Makel der Rechtswidrigkeit“ nennen: „Diese Vorgehensweise verstößt gegen das Gebot des fairen Verfahrens.“ Aber weil auch mit Anwalt kein anderes Urteil herausgekommen wäre, so das OLG, sei dann doch alles in Ordnung. Zangana bleibt in Abschiebehaft, auch wenn die Abschiebung mangels Pass noch immer nicht möglich ist.
Im Juli bringen sie Zangana nach Berlin zur irakischen Botschaft, die solle ihm Papiere ausstellen. Doch die Botschaft weigert sich, weil nichts seine irakische Staatsangehörigkeit belege. Im August schreibt der BGS an das Oberlandesgericht, dass „weitere aussichtsreiche Passbeschaffungsmaßnahmen nicht möglich“ seien. Ohne Pass keine Abschiebung, also muss laut Gesetz die auf maximal drei Monate befristete Abschiebehaft beendet werden. Zangana wird entlassen, aber nicht freigelassen.

19. August. Der Flüchtling wird zurück zum Flughafen gebracht.
Seine de-facto-Haft in der Unterkunft ordnet die Polizei an, kein Richter. Zangana, der noch immer als nicht eingereist gilt, stellt einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht auf Gestattung der Einreise. Das ist im August, über den Eilantrag ist bis heute nicht entschieden.
Michael Sack schreibt Beschwerden und sofortige Beschwerden und sofortige weitere Beschwerden an die Gerichte in Erding, Landshut und München. Er argumentiert mit dem Grundgesetz, wonach einem die Freiheit nur nach richterlichem Beschluss entzogen werden darf. Er erinnert ans Bundesverfassungsgericht, das sagt, dass ein Flüchtling längstens 19 Tage während des Flughafenverfahrens festgehalten werden dürfe.
Doch die Gerichte geben sich gegenseitig Recht und auch der Polizei. Da Zangana „nie aus der Kontrolle (der) Behörden geraten“ sei, sei er nicht eingereist. Auch nach sieben Monaten auf deutschem Boden nicht. Und obendrein sei die Unterbringung am Flughafen keine Haft. Zangana darf zwar seine Unterkunft nicht verlassen, aber ausreisen könne er jederzeit. Wie jemand ausreisen kann, der noch gar nicht eingereist ist, erklärt das Gericht nicht. Auch nicht, wie Zangana an Papiere kommen soll angesichts des Chaos im Irak. Man belässt ihn im Niemandsland.
Der Anwalt nennt diese Nicht-Einreise eine „Fiktion“. Zangana verstehe längst nicht mehr, was mit ihm geschehe, sagt Michael Sack. Er berichtet von einem Jamaikaner, der in derselben Unterkunft am Flughafen festgehalten worden war: Er sei abgehauen - damit war er eingereist. Seither bewachten die Beamten den Zaun aber noch genauer, sagt Sack.

Im Hungerstreik

Irgendwann fragt der BGS, der inzwischen Bundespolizei heißt, beim Bundesinnenministerium nach, ob denn ausnahmsweise eine Einreise ohne Pass möglich sei. Die Antwort aus Berlin: Nein.
Ende Oktober tritt Zangana in den Hungerstreik. Er näht sich die Lippen zusammen. Man bringt ihn ins Krankenhaus - und wieder zurück zum Flughafen. Irgendwann in all den Wochen, berichtet Anwalt Sack, sagt man Zangana: Sie dürfen die Koffer packen, Sie sind frei. Zwei Stunden später aber: Tut uns Leid, es war eine Verwechslung. Ein andermal bringt man ihn zu einem Flugzeug. Abschiebung. Wenig später heißt es: war eine Verwechslung. Von seinen sieben Monaten Haft seien nur vier durch Richter legitimiert, rechnet Anwalt Sack vor. „Es ist ein zynisches Spiel, was da abläuft.“

Von Bernd Kastner

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